Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
Anmerkungen waren nur ganz allgemein gemeint. Es war eine Wahlrede, und ich habe so gesprochen, weil es das ist, was die Leute hören wollten.« Aus den Augenwinkeln sieht Alfred, wie Herr Schäfer in seinem Stuhl zusammensinkt, die Brille abnimmt und sich die Augen reibt.
»Ach so, ich verstehe. Du hast nur allgemein gesprochen? Aber jetzt sitze ich hier vor dir, nicht allgemein, sondern tatsächlich.«
»Herr Direktor, ich sage nur, was alle Deutschen denken. Dass wir unsere Rasse und unsere Kultur bewahren müssen.«
»Und was mich und die Juden betrifft?«
Alfred lässt abermals stumm den Kopf hängen. Er möchte aus dem Fenster schauen, das sich etwa auf halber Länge des Tisches befindet, schaut stattdessen aber besorgt zum Direktor.
»Ja, natürlich kannst du nicht antworten. Vielleicht wird es deine Zunge lösen, wenn ich dir sage, dass mein Stammbaum und auch der meiner Frau rein deutsch ist und dass unsere Vorfahren im vierzehnten Jahrhundert ins Baltikum kamen. Und darüber hinaus sind wir auch noch strenggläubige Lutheraner.«
Alfred nickt langsam.
»Und dennoch nanntest du mich und meine Frau Juden«, fährt der Direktor fort.
»Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte nur, dass es Gerüchte gibt …«
»Gerüchte, die du zu deinem eigenen persönlichen Vorteil nur allzu gern ausgestreut hast. Und, sag mir, Rosenberg: Die Gerüchte beruhen auf welchen Tatsachen? Oder sind sie vielleicht gar aus der Luft gegriffen?«
»Tatsachen?« Alfred schüttelt den Kopf. »Äh, vielleicht Ihr Name?«
»Epstein ist also ein jüdischer Name? Alle Epsteins sind Juden, ist es das? Oder fünfzig Prozent von ihnen? Oder nur ein paar? Oder vielleicht nur einer von tausend? Was haben deine wissenschaftlichen Untersuchungen denn ergeben?«
Keine Antwort. Alfred schüttelt den Kopf.
»Du meinst, dass du dir trotz deiner wissenschaftlichen und philosophischen Ausbildung an deiner Schule nie überlegst, woher du weißt, was du weißt? Ist das nicht eine der wichtigsten Lehren der Aufklärung? Haben wir an dir versagt? Oder du an uns?«
Alfred ist sprachlos. Herr Epstein trommelt mit den Fingern auf den langen Tisch und fährt dann fort.
»Und dein Name Rosenberg? Ist dein Name auch ein jüdischer Name?«
»Nein. Ganz bestimmt nicht.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Ich will dir etwas über Namen erzählen. Während der Aufklärung in Deutschland …« Direktor Epstein hält kurz inne und bellt dann los: »Rosenberg, weißt du, wann und was die Aufklärung war?«
Mit Blick auf Herrn Schäfer und einem Stoßgebet in der Stimme antwortet Alfred zaghaft: »Achtzehntes Jahrhundert und … und es war die Ära … die Ära von Vernunft und Wissenschaft?«
»Ja, richtig. Gut. Nun, dann ist Herrn Schäfers Unterricht doch nicht gänzlich spurlos an dir vorübergegangen. Im Laufe jenes Jahrhunderts wurden in Deutschland Maßnahmen ergriffen, Juden zu deutschen Staatsbürgern zu machen. Sie wurden verpflichtet, deutsche Namen zu wählen und dafür zu zahlen. Hätten sie das nicht getan, hätten sie vielleicht so lächerliche Namen wie Schmutzfinger oder Drecklecker bekommen. Die meisten Juden erklärten sich also bereit, für einen hübscheren oder eleganteren Namen zu bezahlen, nach einer Blume vielleicht – wie Rosenblum – oder für Namen, die in irgendeiner Weise mit der Natur zu tun hatten, wie Grünbaum. Noch beliebter waren Namen von Adelsschlössern. So assoziierte man beispielsweise das Schloss Epstein mit einem Adelsgeschlecht. Es gehörte einer bedeutenden Familie des Heiligen Römischen Reiches, und sein Name wurde oft von Juden gewählt, die im achtzehnten Jahrhundert in dessen Nachbarschaft lebten. Einige Juden bezahlten geringere Summen für traditionelle jüdische Namen wie Levy oder Cohen.
Nun ist dein Name, Rosenberg, auch ein sehr alter Name. Aber seit mehr als hundert Jahren erlebt er einen Aufschwung. Er ist inzwischen ein häufiger jüdischer Name im Vaterland, und ich versichere dir, falls oder wenn du in das Vaterland reisen solltest, wirst du Blicke und Schmunzeln ernten, und du wirst Gerüchte über jüdische Vorfahren in deinem Stammbaum hören. Sag mir, Rosenberg, wenn das geschieht, was wirst du den Leuten antworten?«
»Ich werde Ihrem Beispiel folgen, Herr Direktor, und von meinen Vorfahren sprechen.«
»Ich persönlich habe die Ahnenreihe meiner Familie mehrere Jahrhunderte zurück verfolgt. Du auch?«
Alfred schüttelt den Kopf.
»Weißt du, wie man eine solche Forschung
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