Das Tao der Physik
unaufhörlich virtuelle Teilchen emittiert und reabsorbiert. Ein Proton z. Β. emittiert und reabsorbiert immer wieder ein neutrales
Pion; dazwischen kann es ein π + emittieren und zum Neutron
werden, das das π + nach kurzer Zeit wieder absorbiert und sich
zum Proton zurückverwandelt. In solchen Fällen müssen die
Proton-Linien in den Feynman-Diagrammen durch die folgenden Diagramme ersetzt werden:
Feynman-Diagramme von einem Proton, das virtuelle Pionen emittiert und
reabsorbiert
In diesen virtuellen Prozessen kann das ursprüngliche Teilchen
für kurze Zeit vollständig verschwinden wie in Diagramm (b).
Ein negatives Pion, um ein anderes Beispiel zu nehmen, kann
ein Neutron
plus ein Antiproton
erzeugen, die sich gegenseitig vernichten, um das ursprüngliche Pion wiederherzustellen:
Erzeugung eines virtuellen NeutronAntiprotonPaares
Alle diese Prozesse folgen den Gesetzen der Quantentheorie
und sind somit Tendenzen oder Wahrscheinlichkeiten und
keine feststehenden Ereignisse. Jedes Proton existiert potenti
ell, d. h. mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, als Proton plus
ein π 0 , als Neutron plus ein π + , und auf viele andere Arten. Die
oben gezeigten Beispiele sind nur die einfachsten virtuellen
Prozesse. Viel kompliziertere Prozesse entstehen, wenn dievir
tuellen Teilchen andere virtuelle Teilchen erzeugen und so ein
ganzes Netzwerk von virtuellen Wechselwirkungen hervor
bringen*. In seinem Buch The World of Elementary Particles konstruiert Kenneth Ford ein kompliziertes Beispiel eines sol
chen Netzwerks mit der Erzeugung und Vernichtung von elf
virtuellen Teilchen undbemerkt dazu: »(Das Diagramm) zeigt
eine solche Folge von Ereignissen, die schaurig anzusehen,aber
völlig real sind. Jedes Proton durchläuft gelegentlich diesen
Reigen von Erzeugung und Vernichtung.« 1
Ford ist nicht der einzige Physiker, der Ausdrücke wie »Tanz
und Erzeugung und Vernichtung« oder »Energie-Tanz« benutzte. Die Vorstellung von Rhythmus und Tanz kommt einem
von ganz allein, wenn man sich das Fließen der Energie durch
Die Wahrscheinlichkeiten sind nicht völlig willkürlich, sondern durch einige
allgemeine Gesetze begrenzt, die im folgenden Kapitel besprochen werden. Ein Netzwerk virtueller Wechselwirkungen (Ford)
die Strukturen, die die Teilchen-Welt ausmachen, vergegenwärtigt. Die moderne Physik hat uns gezeigt, daß Bewegung
und Rhythmus wesentliche Eigenschaften der Materie sind;
daß alle Materie, sei es hier auf der Erde oder im Weltraum, an
einem ständigen kosmischen Tanz teilnimmt.
Die östlichen Mystiker haben eine dynamische Ansicht vom
Universum ähnlich wie die moderne Physik, und daher überrascht es nicht, daß auch sie das Bild des Tanzes gebrauchen.
Alexandra David-Neel führt in ihrer Tibetan Journey ein schönes Beispiel solch einer Vorstellung von Rhythmus und Tanz
auf, wo sie von einem Lama erzählt, der sich selbst »Meister des
Tones« nannte und ihr seine Ansicht von der Materie mitteilte:
Alle Dinge sind Ballungen von Atomen, die tanzen und durch ihre
Bewegungen Geräusche hervorrufen. Ändert sich der Rhythmus
des Tanzes, ändern sich auch die erzeugten Töne . . . Jedes Atom
singt unaufhörlich sein Lied, und der Ton erzeugt in jedem Augenblick dichte und subtile Formen. 2
Die Ähnlichkeit dieser Ansicht mit der modernen Physik fällt
besonders auf, wenn man bedenkt, daß der Schall eine Welle
von bestimmter Frequenz ist, die sich mit der Tonhöhe ändert,
und daß Teilchen, das moderne Äquivalent zum alten Begriff
»Atom«, ebenfalls Wellen sind, deren Frequenzen ihrer Energie proportional sind. Nach der Feldtheorie »singt« wirklich jedes Partikel »sein ewiges Lied« und produziert rhythmische
Energiestrukturen (die virtuellen Teilchen) in »dichter und
subtiler Form«.
Die Metapher des kosmischen Tanzes wird am tiefsten und
schönsten im Hinduismus mit dem Bild des tanzenden Gottes
Shiva ausgedrückt. Eine der vielen Inkarnationen Shivas, einer der ältesten und populärsten indischen Götter, ist die als
König der Tänzer. Im Glauben der Hindus ist alles Leben ein
Teil eines großen rhythmischen Prozesses von Schöpfung und
Zerstörung, von Tod und Wiedergeburt, und Shivas Tanz symbolisiert diesen ewigen Rhythmus von Leben und Tod, der sich
in endlosen Zyklen fortsetzt. Mit den Worten von Ananda
Coomaraswamy:
In der Nacht des Brahman ist die Natur reglos und kann nicht tanzen, bis Shiva es will: Er steht aus seiner Verzückung auf und schickt
tanzend
Weitere Kostenlose Bücher