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Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritjof Capra
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pulsierende Wellen von erwachenden Tönen durch die leblose Materie, und siehe! Die Materie tanzt auch und legt sich als
Glorienschein um ihn. Tanzend unterhält er ihre vielfachen Phänomene. In der Fülle der Zeit zerstört er, immer noch tanzend, alle
Formen und Namen durch Feuer und schafft neue Ruhe. Dies ist
Poesie und dennoch Wissenschaft. 3
    Der Tanz des Shiva symbolisiert nicht nur die kosmischen
Zyklen von Schöpfung und Zerstörung, sondern auch den täglichen Rhythmus von Geburt und Tod, den die indische Mystik
als Basis aller Existenz sieht. Gleichzeitig erinnert uns Shiva
daran, daß die vielfältigen Phänomene in der Welt »Maya« sind
– nicht fundamental, sondern Illusionen und ständig wechselnd. Er erschafft und zerstört sie im endlosen Fluß seines
Tanzes, wie Heinrich Zimmer ihn beschreibt:
    In seiner Gestalt als Nataraja, König der Tänzer, beschleunigen
seine wilden und anmutvollen Gebärden die kosmische Illusion.
Seine wirbelnden Arme und Beine und die Schwingung seines Leibes erregen – oder sind sie eigentlich – die beständige Schöpfung
und Zerstörung des Universums, wo der Tod genau die Geburt aufwiegt und Vernichtung das Ende jeden Werdens ist. 4
Shiva Nataraja, Bronzestatue aus Südindien, 12. Jahrhundert
    Indische Künstler des zehnten und zwölften Jahrhunderts haben Shivas kosmischen Tanz in wundervollen Bronzeskulpturen tanzender Figuren mit vier Armen dargestellt, deren perfekt balancierte und doch dynamische Gesten den Rhythmus
und die Einheit des Lebens ausdrücken. Die verschiedenen
Bedeutungen des Tanzes werden durch die Details dieser Figuren in einer komplexen bildlichen Allegorie wiedergegeben.
Die obere rechte Hand des Gottes hält eine Trommel, die den
Urklang der Schöpfung symbolisiert, die obere linke hält eine
Flamme, das Element der Zerstörung. Die Balance dieser beiden Hände repräsentiert das dynamische Gleichgewicht zwischen Schöpfung und Zerstörung in der Welt, weiter akzentuiert durch des Tänzers ruhiges und entrücktes Gesicht zwischen
den beiden Händen, in dem die Polarität der Schöpfung und
Zerstörung aufgelöst und überschritten wird. Die zweite rechte
Hand ist zum Zeichen »Fürchte nicht« erhoben und symbolisiert Erhaltung, Schutz und Frieden, während die verbleibende
linke Hand nach unten auf den erhobenen Fuß zeigt, symbolisch für die Erlösung vom Bann der Maya. Der Gott wird auf
dem Körper eines Dämons tanzend dargestellt, einem Symbol
menschlicher Unwissenheit, die überwunden
werden muß,
bevor die Befreiung erreicht werden kann.
    Shivas Tanz ist, wie Coomaraswamy sagt, »das klarste Abbild der Aktivität Gottes, dessen sich irgendeine Kunst oder
Religion rühmen kann«. 5 Da Gott das Brahman personifiziert,
ist seine Aktivität die der Myriaden Manifestationen des
Brahman in der Welt. Der Tanz des Shiva ist das tanzende Universum, der unaufhörliche Energiefluß, der durch eine unendliche Vielfalt von Strukturen durchgeht, die ineinander verschmelzen. Die moderne Physik hat gezeigt, daß der Rhythmus
von Erzeugung und Zerstörung nicht nur im Wechsel der Jahreszeiten und in Geburt und Tod aller lebenden Geschöpfe
liegt, sondern auch die eigentliche Essenz der anorganischen
Materie ist. Nach der Quanten-Feldtheorie finden alle Wechselwirkungen zwischen den Bestandteilen der Materie durch
die Emission und Absorption virtueller Partikel statt. Mehr als
das, der Tanz von Erzeugung und Vernichtung ist die Basis der
Existenz der Materie, da alle Materieteilchen durch Emission
und Reabsorption von virtuellen Teilchen »mit sich selbst zusammenwirken«. Die moderne Physik hat also enthüllt, daß jedes subatomare Teilchen nicht nur einen Energietanz aufführt,
sondern auch ein Energietanz ist, ein pulsierender Prozeß von
Erschaffung und Zerstörung.
    Wie in der Hindu-Mythologie ist es ein ständiger Reigen von
Erschaffung und Zerstörung, an dem der ganze Kosmos beteiligt ist; er ist die Basis aller Existenz und aller Naturphänomene. Vor Hunderten von Jahren erschufen indische Künstler
Bildnisse
tanzender Shivas in einer Reihe von
herrlichen
Bronzeplastiken. In unserer Zeit benutzten Physiker die fortschrittlichste Technik, um die Strukturen des kosmischen Tanzes zu porträtieren. Die Blasenkammerfotos von zusammenwirkenden Teilchen, die den kontinuierlichen Rhythmus von
Erzeugung und Vernichtung im Universum bezeugen, sind
sichtbare Abbildungen vom Tanz des Shiva, die denen der indischen Künstler an Schönheit und tiefer

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