Das Testament der Götter
Göttin Maat fordere ich Ruhe während der Ausführungen. Wer immer sie auch bricht, wird augenblicklich ausgeschlossen und zu einer schweren Buße verurteilt.« Die Mahnung zeitigte Erfolg. »Offizier Sethi«, fügte Paser an, »besitzt Ihr Beweise?«
»Es gibt sie.«
»Gemäß dem Gesetz«, wies der Richter hin, »habe ich eine Ermittlung durchgeführt. Sie hat mir erlaubt, eine gewisse Anzahl an sonderbaren Tatsachen aufzudecken, die meines Erachtens mit der wichtigsten Beschuldigung in Verbindung stehen. Ich äußere somit den Verdacht einer Verschwörung wider das Reich und einer Bedrohung der Sicherheit unseres Landes.« Die Spannung nahm zu. Die angesehenen Persönlichkeiten, die Paser zum ersten Male zu Gesicht bekamen, wunderten sich über den Ernst eines derart jungen Mannes, die Entschiedenheit seines Verhaltens und das Gewicht seiner Rede. »Ich rufe den Heerführer Ascher auf.«
So berühmt er auch war, mußte Ascher gleichwohl erscheinen. Das Gesetz erlaubte weder Vertretung noch Fürsprecher bei Gericht. Der kleine Mann mit dem Gesicht eines Nagers trat vor und leistete den Eid. Er hatte Gefechtsbekleidung gewählt: kurzen Schurz, Beinschienen, Kettenhemd. »Heerführer Ascher, was antwortet Ihr Eurem Ankläger?«
»Der Offizier Sethi, den ich höchstselbst in seinen jetzigen Rang erhoben habe, ist ein wackerer Mann. Ich habe ihn mit der Goldenen Fliege ausgezeichnet. Während des letzten Asienfeldzugs hat er mehrere Glanztaten vollbracht und verdient es, als Held angesehen zu werden. Ich erachte ihn als einen ausgezeichneten Bogenschützen, als einen der besten unseres Heeres. Seine Anschuldigungen sind nicht begründet. Ich weise sie zurück. Ohne Zweifel handelt es sich hierbei um eine vorübergehende Verwirrung des Geistes.«
»Ihr betrachtet Euch demnach als unschuldig?«
»Ich bin es.« Sethi ließ sich zu Füßen einer Säule, im Angesicht des Richters und einige Meter von ihm entfernt, nieder; Ascher nahm in der gleichen Haltung Platz, jedoch auf der anderen Seite, nahe den Geschworenen, die so sein Verhalten und sein Mienenspiel leicht beobachten konnten.
»Die Aufgabe dieses Gerichts«, hob Paser hervor, »ist es, den wahren Sachverhalt festzustellen. Sollte sich das Verbrechen bestätigen, wird die Sache dem Gericht des Wesirs überantwortet. Ich rufe den Zahnheilkundigen Qadasch auf.« Fahrig leistete Qadasch den Eid. »Bekennt Ihr Euch schuldig des versuchten Diebstahls in der Wirkstätte der Streitkräfte, die von dem Metallkundler Scheschi geführt wird?«
»Nein.«
»Wie erklärt Ihr dann Eure damalige Anwesenheit an jenem Ort?«
»Ich kam, um Kupfer von erster Güte zu kaufen. Der Handel ist nicht gut verlaufen.«
»Wer hat Euch auf das Vorhandensein dieses Metalls hingewiesen?«
»Der Verantwortliche der Kaserne.«
»Das ist falsch.«
»Ich versichere, ich …«
»Das Gericht verfügt über eine schriftliche Aussage. Zu diesem Punkt habt Ihr gelogen. Überdies habt Ihr diese Lüge soeben wiederholt, nachdem Ihr Euren Eid geleistet habt; folglich habt Ihr Euch des Verstoßes der Falschaussage schuldig gemacht.« Qadasch schauderte. Eine strenge Geschworenenversammlung würde ihn zu Zwangsarbeit in den Bergwerken verurteilen; eine nachsichtige zu einer Jahreszeit Feldarbeit.
»Ich ziehe Eure vorherigen Antworten in Zweifel«, fuhr Paser fort, »und ich stelle meine Frage nochmals: Wer hat Euch das Vorhandensein und den Verwahrungsort des kostbaren Metalls genannt?« Wie erstarrt stand Qadasch mit offenem Mund da. »War es der Forscher Scheschi?« Der Zahnheilkundige brach unter Tränen zusammen. Auf einen Wink des Richters führte der Gerichtsschreiber ihn zurück zu seinem Platz. »Ich rufe den Metallkundigen Scheschi auf.« Einen kurzen Augenblick glaubte Paser, der Gelehrte mit der traurigen Gestalt und dem schwarzen Schnurrbart würde nicht erscheinen. Doch er hatte sich verständig gezeigt, wie sich der Vorsteher der Ordnungskräfte ausgedrückt hatte. Der Heerführer bat ums Wort. »Erlaubt mir, mein Erstaunen auszudrücken. Handelt es sich hier nicht um eine andere Verhandlung?«
»Diese Personen sind, meiner Meinung nach, nicht unbeteiligt an der Angelegenheit, die uns beschäftigt.«
»Weder Qadasch noch Scheschi haben unter meinem Befehl gedient.«
»Etwas Geduld, Heerführer.« Verdrossen beobachtete Ascher den Metallkundigen aus den Augenwinkeln. Er wirkte entspannt. »Ihr arbeitet doch für das Heer in einer Forschungsstätte zur Vervollkommnung der
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