Das Testament des Satans
Kraft des Heiligen Geistes«, betet Yannic mit sanfter, aber fester Stimme.
»Amen«, seufzt Vittorino.
Yannic malt das Kreuzzeichen in Vittorinos Handflächen. »Der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf.«
»Amen«, flüstert Vittorino voller Hoffnung und schüttelt den Kopf. »O Gott! Er hatte mir … die Absolution verweigert …«
»Wer? Wann?« Yannic hält bestürzt inne und runzelt die Stirn.
Doch Vittorino schüttelt nur den Kopf. Tränen rinnen ihm über das Gesicht.
Ein Knirschen über ihm lässt den Pater aufblicken. Er sieht gerade noch, wie eine schemenhafte Gestalt über die Dächer huscht und im Dunkel verschwindet. Dann fällt eine Tür auf der anderen Seite des Querschiffs ins Schloss.
»Wer war das?« Yannic sieht Vittorino an.
Der hebt unter großen Schmerzen den Kopf. Yannic folgt dessen Blick und bemerkt, dass er ein in Leder gebundenes kleines Notizbuch in der Hand hält. »Nehmt es!«
Yannic nimmt ihm das Büchlein aus der Hand.
»Gebt es Alessandra!« Vittorinos Stimme ist kaum mehr als ein gurgelndes Röcheln. Er wird an seinem Blut ersticken.
»Alessandra Colonna?« Nur sie kann Vittorino meinen. Alessandra besitzt ein großes Buchhandelsunternehmen in Florenz mit mehr Scriptoren und Illuminatoren als eine bedeutende Abtei wie Mont-Saint-Michel. Vittorino war der Leiter ihres Scriptoriums, bevor Papst Nikolaus ihn als Archivar des Archivum Secretum und Bibliothekar der neu gegründeten Bibliotheca Vaticana nach Rom berief.
Yannic hat Alessandra vor zwei Jahren in Rom kennengelernt. Damals hat er den Abt, Kardinal Guillaume d’Estouteville, zum letzten Mal besucht. Während er auf dem Campo dei Fiori auf das Ende des Konklaves wartete, das Alessandras Cousin, Kardinal Prospero Colonna, zum Pontifex machen sollte, war ihr Scheiterhaufen entzündet worden. Der neu gewählte Papst, nicht ihr Cousin Prospero, sondern ihr Freund Tommaso Parentucelli, nun Papst Nikolaus, hat sie im letzten Moment vor dem Feuertod bewahrt.
»Aber Alessandra lebt mit ihrem Gemahl in Granada«, wendet Yannic ein. »Ich war mit Kardinal d’Estouteville dabei, als sie sich gemeinsam mit Prinz Yared al-Gharnati, dem Wesir von Granada, von Seiner Heiligkeit verabschiedet hat, um Rom für immer zu verlassen.«
»Alessandra wird kommen«, flüstert Vittorino. Ermattet sinkt er zurück und schließt die Augen. »Sie wird meine Seele retten. Gebt ihr das Büchlein.«
Yannic zögert, dann sagt er: »Das werde ich.«
»Schwört es!« Vittorino beginnt zu husten.
Feine Blutstropfen spritzen Yannic ins Gesicht. Mit dem Ärmel seines Habits wischt er sich über die Stirn und das dunkle Haar, das in weichen Wellen sein Gesicht umspielt. »Ich schwöre es bei Saint-Michel!«
»Sie wird es finden.«
»Was?«, fragt Yannic verwirrt.
»Das Testament des Satans.«
Sofort denkt Yannic an das satanische Buch, in dem er eben noch geblättert hat. Doch bevor er nachfragen kann, strömt ein Schwall Blut über Vittorinos Lippen und rinnt auf Yannics Habit.
Der Bretone bekreuzigt sich und schließt Vittorinos Augen. Dann bettet er den Toten vorsichtig auf den Boden und erhebt sich. Unruhig tastet er nach dem Kreuz auf seiner Brust und küsst es, während er ein inniges Gebet für Vittorinos Seelenheil murmelt.
Dann schlägt er das Notizbuch auf. Mit blutigen Fingern blättert er darin. Die Seiten sind leer.
Sobald Yann verschwunden ist, huscht der maskierte Mönch in den Hof und kniet sich neben Vittorino.
Der verdammte Jude liegt auf dem Rücken, die Augen geschlossen, die Hände wie zum Gebet gefaltet. Hastig durchwühlt der Mönch die Taschen – Yann kann jeden Augenblick mit den anderen zurückkehren! -, doch er findet nichts. Er stößt einen bretonischen Fluch aus.
Wo ist das Notizbuch?
Noch einmal durchsucht er das Gewand, stülpt die Taschen um und tastet den Leichnam ab.
Nichts.
Nur ein zusammengefaltetes, blutverschmiertes Pergament, eine grob gezeichnete Karte der Abtei mit allen drei Ebenen. In der Mitte, an der höchsten Stelle des Mont, die Abteikirche, darunter die Krypten unter den Seitenschiffen. Im Norden das Gebäude der Merveille mit dem Kreuzgang und dem Refektorium, darunter das Scriptorium und der Gästesaal, darunter wiederum der Almosensaal und der Keller mit dem ummauerten Klostergarten, der an die Befestigungen grenzt. Ein blutrotes Kreuz und ein Gekritzel in italienischer Sprache, teilweise durchgestrichen und berichtigt, bezeichnen das
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