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Das Testament eines Excentrischen

Das Testament eines Excentrischen

Titel: Das Testament eines Excentrischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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erwiderte der Hitzkopf mit Donnerstimme. Ja, wer steht denn dafür ein, daß ich auch nur dieses Sechstel ungeschmälert erhalte?
    – Beruhigen Sie sich doch… ich bitte Sie…
    – Nein, ich beruhige mich nicht… das liegt einmal nicht in meiner Natur!… Ich bin an Stürme gewöhnt und habe mich stets noch stürmischer als diese gezeigt.
    – Jetzt ist aber von keinen Stürmen die Rede, bemerkte der Reporter, der Himmel ist ganz klar…
    – Das werden wir ja noch sehen, schnitt ihm der wüthende Amerikaner das Wort ab, und wenn es Ihnen einfällt, der Oeffentlichkeit Mittheilungen über meine Person, meine Handlungen oder mein Auftreten zu machen, so überlegen Sie sich wohl, was Sie sagen… sonst… sonst haben Sie’s mit dem Commodore Urrican zu thun!«
    Hodge Urrican war in der That ein seit sechs Jahren verabschiedeter Commodore, ein ehemaliger Officier der Kriegsflotte der Vereinigten Staaten – über seine Verabschiedung hatte er sich übrigens auch heute noch nicht getröstet – ein muthiger und tüchtiger Seemann, der vor dem Feuer des Feindes wie vor dem des Himmels stets seine Schuldigkeit gethan hatte. Trotz seiner zweiundfünfzig Jahre war seine natürliche Reizbarkeit aber die gleiche geblieben. Stelle man sich unter ihm einen kräftig gebauten, hochgewachsenen Mann vor mit mächtigem Kopfe und unter buschigen Brauen rollenden großen Augen, etwas niedriger Stirn, kurz geschnittenem Haar, mit viereckigem Kinn, das ein starrer Bart umrahmte, durch den er immer mit fieberhafter Handbewegung strich, ferner mit musculösen Armen und mit nach vorn gebogenen Beinen, die dem Körper der Theerjacken die bekannte schaukelnde Bewegung verleihen. Bei seinem erregbaren, immer bissigen Charakter, seiner Unfähigkeit, sich zu beherrschen, war er im privaten wie im öffentlichen Leben kein angenehmer Gesellschafter, und es gab wohl niemand, der ihn seinen Freund genannt hätte. Es wäre zu verwundern gewesen, wenn ein solcher Mann sich verheiratet hätte. Das war auch nicht der Fall, und »Welches Glück für seine Frau!« pflegten Spaßvögel sich deshalb zu äußern.
    Er gehörte zu der Sorte von Brauseköpfen, die der Zorn infolge einer Art Herzkrampfes erbleichen macht, deren Körper sich dabei wie zum Angriff vorbeugt, deren glühende Pupillen immer eng zusammengezogen sind und deren Stimme noch hart und rauh ist, wenn sie verhältnißmäßig ruhig, und die brüllend wird, wenn sie das nicht sind.
    Als die Berichterstatter des »Chicago Globe« an die Thür des Ateliers in der South Halsted Street Nr. 3997 klopften – man sieht, diese Straße muß leidlich lang sein – fanden sie niemand vor außer einem jungen, siebzehnjährigen Neger im Dienste bei Max Real. Der Schwarze öffnete die Thür.
    »Wo ist Dein Herr? fragte man ihn.
    – Weiß nicht.
    – Wann ist er ausgegangen?
    – Weiß nicht.
    – Wann wird er denn zurückkommen?
    – Weiß nicht.«
    Tommy wußte thatsächlich nichts, da Max Real sehr frühzeitig ausgegangen war und Tommy nichts davon gesagt hatte. Der Neger schlief gewöhnlich wie ein Kind, und sein Herr hatte ihn so zeitig nicht wecken wollen.
    Konnte Tommy auf die Fragen der Eindringlinge auch keine Antwort geben, so darf man deshalb nicht glauben, daß es dem »Chicago Globe« an Auskunft bezüglich Max Real’s gefehlt habe. O nein! Die »Sechs« waren durch zahlreiche Interviews bereits in den ganzen Vereinigten Staaten bekannt geworden.
    Real war ein junger begabter Maler, ein Landschafter, dessen Bilder in Amerika recht ansehnliche Preise erlangten und dem die Zukunft eine schöne Stellung im Gebiete der Kunst versprach. Er war trotz seines französischen Namens ein Eingeborner von Chicago, der Abkömmling einer canadischen Familie in Quebec. Dort wohnte auch noch die seit mehreren Jahren verwitwete Frau Real, die sich aber jetzt zur Uebersiedlung zu ihrem Sohn in der Hauptstadt von Illinois anschickte.
    Max Real verehrte seine Mutter ebenso wie diese ihn – sie war ebenso eine vortreffliche Mutter wie er ein vortrefflicher Sohn. Er hatte sich auch beeilt, sie nicht einen Tag über das Vorkommniß der letzten Tage ununterrichtet zu lassen, und hatte ihr geschrieben, daß er bestimmt worden sei, bei dem Begräbniß William I. Hypperbone’s mit fünf Anderen einen hervorragenden Platz einzunehmen. Dazu erklärte er übrigens, daß er sich um die etwaigen Folgen des Testaments des Entschlafenen keine Kopfschmerzen mache. Die ganze Sache komme ihm nur »drollig« vor.
    Max Real

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