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Das Testament eines Excentrischen

Das Testament eines Excentrischen

Titel: Das Testament eines Excentrischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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eine angemessene, kurze Rede, die Umstehenden lauschten seinen Worten mit Andacht, und in diesen Minuten, doch auch nur in diesen, nahm die Bestattung einen würdigen, religiösen Charakter an.
    Als die weithin vernehmbare Stimme des geistlichen Herrn verklungen war, wurde der für derartige Feierlichkeiten so geeignete, berühmte Trauermarsch von Chopin vorgetragen. Das Orchester nahm ihn vielleicht aber in etwas schnellerem Tempo, als der große Tonsetzer es sich gedacht und vorgeschrieben hatte – ein Tempo, das hier freilich der Stimmung der Anwesenden und den letzten Willensäußerungen des Verstorbenen mehr als das richtige zu entsprechen schien. Hier herrschten nicht die Gefühle, die Paris bei der Bestattung eines der Begründer der Republik beseelten, als die bestrickende Tonfülle der Marseillaise in Moll übertragen erklang.
    Nach jenem Stücke von Chopin, dem Glanzpunkte des Programms, trat einer der Collegen William I. Hypperbone’s, der, mit dem er in engster Freundschaft verbunden gewesen war, der Clubvorsitzende Georges B. Higginbotham aus dem Kreise der nächsten Umstehenden hervor, nahm neben dem Leichenwagen Platz und entrollte in glänzender Rede ein getreues, lobspendendes Bild vom Lebenslaufe seines Freundes. »Schon mit fünfundzwanzig Jahren im Besitz eines beträchtlichen Vermögens, hatte William I. Hypperbone das immer nutzbringend zu verwenden verstanden. Seine verständigen Ankäufe von Bauland, das jetzt so hoch im Preise steht, daß man es dicht mit Goldstücken bedecken müßte… seine Erhebung in den Rang der Millionäre der Stadt, was so viel heißt, wie in den der großen Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika… der stets gut unterrichtete Actionär der mächtigsten Eisenbahngesellschaften des Bundesstaates… der kluge Speculant, der sich nur in sicheren Gewinn bringende Geschäfte einließ… der freigebige Mann, stets bereit, sich an den Anleihen des Vaterlandes sofort zu betheiligen, wenn dieses einen Bedarf an solchen hätte, was ja freilich nicht eingetreten ist… der hervorragende College, den der Excentric Club an ihm verloren hat, das Mitglied, auf das man zählte, den Verein zu verherrlichen… der Mann, der, wäre es ihm vergönnt gewesen, sein Dasein über die Fünfzig zu verlängern, die Welt gewiß noch erstaunen gemacht hätte…« und in solchen Wendungen bewegte sich die Rede weiter. – »Er gehört übrigens zu der Classe von Genies, fuhr der Lobredner fort, die sich erst offenbaren, wenn sie nicht mehr sind. Ohne weiter sein Begräbniß hervorzuheben, das unter den bekannten Umständen und dem Zulaufe der ganzen Stadtbevölkerung bis hierher vor sich gegangen ist, war zu erwarten, daß der letzte Wille William I. Hypperbone’s seinen Erben ganz besondere Bedingungen auferlegen werde. Ohne Zweifel enthält das Testament auch Klauseln, die die Bewunderung der beiden Amerika – und diese wiegen ja allein die andern vier Erdtheile auf – herausfordern dürften.«
     

    Gleichzeitig flatterten unzählige, mit Bändern geschmückte Vögel auf.(S. 43.)
     
    In dieser Weise sprach Georges B. Higginbotham unter sichtbarer Theilnahme und Erregung der Zuhörer. Es schien, als müßte William I. Hypperbone jeden Augenblick leibhaftig auftauchen, um mit der einen Hand das Testament, das seinen Namen unsterblich machen sollte, zu schwenken und mit der anderen den »Sechsen« die Millionen seines Vermögens an den Kopf zu werfen.
    Den Worten des vertrautesten Freundes des Verschiedenen antworteten die nächsten Anwesenden mit einem schmeichelhaft zustimmenden Murmeln, das sich nach und nach bis zu den letzten Reihen innerhalb der Oakswoods weiter verbreitete. Wer die Worte des Redners hatte verstehen können, theilte den davon erhaltenen Eindruck den ferner Stehenden mit, die schon allein nicht am wenigsten ergriffen erschienen…
    Jetzt vereinigten sich die Sänger und die Musiker unter weitschallendem Zusammenklang von Stimmen und Instrumenten, das überwältigende Hallelujah aus dem »Messias« von Händel vorzutragen.
    Die Feierlichkeit neigte sich ihrem Ende zu, die Programmnummern waren erschöpft und doch schien es, als wartete die Menge noch auf eine außerordentliche, vielleicht gar übernatürliche Ueberraschung. Ja, die Ueberhitzung der Geister hatte einen so hohen Grad erreicht, daß niemand eine plötzliche Veränderung der Naturgesetze, vielleicht die Erscheinung einer allegorischen Gestalt am Himmel, erstaunlich gefunden hätte, eine Erscheinung, wie

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