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Das Testament eines Excentrischen

Das Testament eines Excentrischen

Titel: Das Testament eines Excentrischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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werden?
    – Gewiß nicht!… Warum, ich bitte Sie, sollte uns William I. Hypperbone zur Begleitung seines Leichenzugs bestimmt haben, wenn er uns nicht sein Vermögen zukommen lassen wollte?
    – Ja… wer weiß?…
    – Das fehlte blos noch, uns ohne Schadloshaltung so arg belästigt zu haben!… Bedenken Sie nur… ein Weg von elf Stunden!
    – Ist aber nicht zu vermuthen, daß das Testament mehr oder weniger sonderbare Bestimmungen enthalten werde?
    – Das ist wohl möglich, und wenn man sich das Original von Mann vorstellt, ist ja etwas derartiges zu erwarten. Nun wohl, ist, was er verlangt, überhaupt möglich, so wird es erfüllt werden, ist es unmöglich, so… nun, das weiß ich nicht. Jedenfalls, liebe Freunde, dürfen Sie auf Harris T. Kymbale zählen… er wird vor nichts zurückschrecken!«
    Nein, schon um der Ehre des Journalismus willen würde er nicht zurückweichen, darauf konnten sich alle verlassen, die ihn kannten und auch alle, die ihn nicht kannten, wenn es unter der Bevölkerung Chicagos solche Leute gab. Welche Bedingungen der Verstorbene auch gestellt haben mochte, der erste Stadtberichterstatter der »Tribune« nahm sie im voraus an und wollte sie erfüllen. Handelte es sich um eine Reise nach dem Monde, so würde er eben abreisen, und wenn ihm nicht aus Mangel an Luft der Athem ausging, würde er unterwegs auch nicht verweilen.
    Welch ein Unterschied zwischen diesem entschlossenen Amerikaner und seinem Miterben für ein Sechstel, jenem Hermann Titbury, der in dem Handelsviertel wohnte, das von Norden nach Süden von der langgestreckten Robey Street durchschnitten wird.
    Als die Vertreter der »Staatszeitung« an die Hausthür der Nr. 77 geklopft hatten, gelang es ihnen nicht einmal, über die Schwelle zu kommen.
    »Herr Hermann Titbury, riefen sie durch die ganz wenig geöffnete Thür, ist er vielleicht zu Hause?
    – Ja, antwortete eine Art Riesin, deren schlecht geordnetes Haar und nachlässige Kleidung sie als weiblichen Drachen erscheinen ließ.
    – Könnten wir ihn sprechen?
    – Das will ich Ihnen sagen, wenn ich Frau Titbury darum gefragt habe.«
    Es gab hier nämlich eine Frau Titbury im Alter von fünfzig Jahren, die zwei Jahre älter als ihr Gatte war. Die Antwort aber, die diese Matrone sandte und die eine Dienerin getreulich übermittelte, lautete:
    »Herr Titbury kann Sie nicht empfangen, er wundert sich, daß sich überhaupt jemand erlaubt, ihn zu stören!«
    Und hier handelte es sich doch nur darum, Zutritt in sein Bureau, nicht in sein Speisezimmer zu erhalten, ihn um einige Auskunft über seine Person zu ersuchen, nicht aber, an seiner Tafel Platz zu nehmen…
    Das Haus blieb jedoch geschlossen; die Berichterstatter der »Staatszeitung« mußten als »Schneider« abziehen.
    Hermann und Kate Titbury bildeten das geizigste Paar, daß sich je zusammengefunden hatte, um vereint durch dieses Thränenthal zu wandern – obwohl sie übrigens noch keine Thräne etwa aus Mitleid für Unglückliche vergossen hatten. Es waren zwei verdorrte, gefühllose Herzen mit übereinstimmendem Schlage. Zum Glück hatte der Himmel diesem Bunde seinen Segen vorenthalten – ihre Linie sollte mit ihnen erlöschen. Sie waren reich, doch stammte ihr Vermögen weder vom Handel noch von einem Gewerbe her. Beide – die Frau hatte nämlich ebensoviel wie der Mann darin gearbeitet – hatten sich den Schmuggelgeschäften des Winkelbanquiers, des Pfandleihers, des Aufkäufers von Forderungen zu niedrigem Preise, des Bewucherers der kleinen Leute, kurz, des Halsabschneiders gewidmet, die ihre Mitmenschen ohne Uebertretung der Gesetze plündern – Gesetze, hat ein großer französischer Romandichter gesagt, die eine herrliche Sache für alle Schurken wären, wenn es… keinen Gott gäbe!
    Ihre Vorfahren, soweit man diese »Ahnenreihe« verfolgen konnte, schienen deutscher Abstammung gewesen zu sein, wofür auch der Vorname Hermann des letzten Vertreters der Sippe sprach.
    Dieser war ein dicker, untersetzter Mann mit rothem Barte, und auch sein Ehegespons hatte rothes Haar. Eine eiserne Gesundheit ersparte es den Leuten, je einen Dollar für Arzneien oder für den Besuch eines Arztes opfern zu müssen. Mit einem Magen, der alles zu verdauen fähig war, und um den sie viele ehrbare Leute beneideten, lebten sie sozusagen von nichts, und ihre Magd hatte sich schließlich auch darein gefunden. Seit Titbury sich von den Geschäften zurückgezogen hatte, unterhielt er keine Beziehungen mit der Außenwelt mehr

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