Das Teufelsweib
nicht einmal mehr den Versuch einer Rettung. Sie wand sich in Putois' Arm, sie kratzte, keuchte, schlug mit den Beinen – es war alles umsonst. Langsam, sorgfältig mit flackernden Augen, in denen sich der Irrsinn widerspiegelte, schüttete ihr Putois den ganzen Inhalt der Flasche über das Gesicht, kein einziges Fleckchen verschonend, systematisch kreuz und quer, von oben nach unten und wieder nach oben.
Mit gellenden Schreien quittierte Manon die Folter. Die Schreie gingen über in ein schreckliches Wimmern, als die Flasche ihren letzten furchtbaren Tropfen hergegeben hatte, und Putois das Bündel Mensch, das nun nicht mehr Manon, das herrliche Werk der Natur, sondern etwas ganz anderes war, zu Boden fallen ließ wie einen schmutzigen, nichtsnutzigen, Abneigung erregenden Gegenstand, den man in die Gosse wirft, weil er nichts anderes mehr verdient.
Und dann geschah etwas, das den Gipfel des Irrsinns darstellte. Putois blickte mit entrückten Augen nach oben zum Himmel und breitete weit seine Arme nach beiden Seiten aus. Es sah aus, als hinge er am Kreuz. Und dann sprach er zum Himmel empor: »Es ist vollbracht …«
Die gleiche Pose und gleichen Worte erlebten von ihm auch immer wieder die Ärzte und das Pflegepersonal des Irrenhauses, in das er eingeliefert wurde. Er entwickelte sich zu einem sogenannten ruhigen Fall. Schwierigkeiten machte er nur geringe und schließlich gar keine mehr, als man ihm zwei Wünsche, die er hartnäckig immer wieder äußerte, erfüllte. Er verlangte und bekam eine Puppe, dazu einen roten Schleier. Er sprach mit der Puppe und nannte sie Manon. Den Schleier band er ihr um den Kopf. Wenn er dann zornig zu werden pflegte (aber nur im Umgang mit ›Manon‹), nahm er den Schleier von ihr und schüttete ihr langsam, sorgfältig ein Glas Wasser über das Gesicht, kreuz und quer, von oben nach unten und wieder nach oben. Und stets aufs neue endete dieses Geschehen mit: »Es ist vollbracht …«
Das Säureattentat am Quai von Genua war natürlich ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse, die sich in den unterschiedlichsten Vermutungen erging. Ein Blatt schrieb sogar, es habe sich um einen verabredeten Demonstrationsakt ›gegen den Hunger in der Welt gehandelt‹. Dagegen sprach ein zweiter Bericht von einem Demonstrationsakt ›gegen den Überfluß‹. Täter und Opfer seien sich einig gewesen. Die Verfasser dieser Berichte setzten also Manon jenen buddhistischen Priestern in Saigon gleich, die sich seinerzeit aus Protest gegen den Vietnamkrieg selbst verbrannt haben.
In der Klinik wurde alles getan, was getan werden konnte, um für die Betroffene die Folgen des Anschlages in Grenzen zu halten. Praktisch hieß das aber nur, daß man ihr das Leben retten konnte, mehr nicht. Vom Gesicht blieb nichts mehr übrig als eine grauenvoll entstellte, von der ätzenden Säure zerfressene Fläche, die jedem, der sie zu sehen bekam, Entsetzen einflößte.
Dubois fand sich am Tage des Anschlags auf seinem Hotelzimmer wieder, in das er sich einschloß, um allein zu sein. Immer wieder ließ er das, was am Hafen geschehen war, noch einmal an seinem Auge vorüberziehen.
Großer Gott!
Dubois hatte Manon töten wollen. Der Tod aber, den er Manon zugedacht hatte, wog nichts im Vergleich zu dem Leben, zu dem Manon nunmehr verurteilt war. Dagegen war jeder Tod nichts anderes als eine Gnade, ein Geschenk, eine Wohltat.
Großer Gott!
Das berühmte zweite Ich, mit dem es Menschen zuweilen zu tun haben, regte sich in Dubois. Das erste flüsterte ihm zwar zu, daß das Schicksal seinen gerechten Lauf genommen habe, und er nun am besten die nächste Bahn nach Paris nehmen solle; das zweite sagte ihm jedoch, daß jeder sich selbst – wenn schon keinem anderen – etwas schuldig sei.
Dubois entflammte nicht wieder für Manon, aber er sagte schließlich in die Stille seines Hotelzimmers hinein: »Ich kann jetzt nicht nach Paris fahren, das bin ich mir selbst schuldig …«
Und er setzte hinzu: »Was ich tue, ist Menschenpflicht.«
Der verkrüppelte, elende Zwerg wurde zu einem Charakterriesen.
Die Platzkarte, um die sich Marco gekümmert hatte, wurde wieder abbestellt. Die Rezeption wurde von Dubois gebeten, zu ermitteln, in welche Klinik Manon eingeliefert worden war. Als man ihm dies sagen konnte, machte er sich auf den Weg dorthin. Es sei seine Menschenpflicht, fand er.
18
Als Dubois, zu dessen Eigenschaften, die man in ihm nicht vermutete, es gehörte, fließend Italienisch zu sprechen, in das
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