Das Tier
Nachdruck, während das Tier auf ihn einschrie:
„Rede! Verdammt, rede!“
Er ließ lockerer, als der junge Mann zu weinen begann. Wenn er wollte, dass der Kleine sprach, würde er geduldiger sein müssen. Gewiss hatten die Wärter ihn mit abscheulichen Geschichten in den Wahnsinn getrieben. Lügen, alles Lügen!
Thars strich über die weiche Haut seines Leidensgefährten. Er musste selbst ruhiger werden. Seine Gabe nutzen, auch wenn er sie lange unterdrückt hatte und sehr geschwächt war von Hunger und Schmerz und der Sehnsucht nach Freiheit.
Ein Liebesdiener, erkannte er, als er die Witterung des Jungen auf sich wirken ließ. Zu deutlich war der Geruch nach rauen Händen, Schweiß und Sperma. Warum hatten die Wärter ihm so jemanden geschickt? Glaubten sie, es würde ihm nach dem Körper eines Kindes gelüsten? Obwohl – der Kleine war älter als er aussah. Viel erkennen konnte Thars selbstverständlich nicht, auch seine übermenschlich scharfen Augen versagten größtenteils in der lichtlosen Finsternis. Dennoch, dank seines Geruchssinns nahm Thars deutlich wahr, dass der Junge beinahe das Ende des Wachstums erreicht hatte, er musste neunzehn oder zwanzig Jahre zählen.
Wie alt war er selbst noch mal? Während er durch die weichen Haare wühlte, die in sachten Wellen bis an die Schultern des jungen Mannes reichten – schnupperte er da einen Honigblondton? – dachte Thars kurz nach. Mehr als zwanzig Jahre waren es bestimmt. Weniger als dreißig, wenn er sich nicht irrte. Hier unten im Kerker verlor sich alles Denken und Erinnern.
Gleichgültig.
Er musste sich stark konzentrieren. An vielen Händen, durch die der Junge gereicht worden war, hatte Blut geklebt. Schuld. Thars sah flüchtig die Gesichter, alte, junge, grausame, freundliche. Unzählige Menschen, denen der Gestank von Schuld anhaftete. Es war schwierig, all diese Gerüche auszublenden und bis zu dem ureigenen Duft des Jungen vorzudringen. Er gefiel ihm. Süß und unschuldig. Oh, der Kleine hatte gestohlen. Seine Freier ausgetrickst. Einiges getan, um nicht verhungern zu müssen. Er war noch immer sehr kindlich, nicht bloß äußerlich, sondern auch im Inneren. Ein Kind, das tat, was die Erwachsenen ihm befahlen. Das sich freiwillig der Gewalt von Männern auslieferte, weil seine Mutter es ihm befohlen hatte. Thars schnupperte weiter über den schlanken Körper, der mittlerweile still in seinen Armen lag. Über dem Herzen verharrte er, lauschte dem kräftigen Schlag, erkundete mit allen Sinnen diese jugendliche Seele.
„Du hast großes Talent in dir“, flüsterte er. „Der Schöpfer erwartet mehr von dir, als nur ein Gefäß zu sein, in das Männer abspritzen können. Lass mich deine Stimme hören. Sprich mit mir.“
Einzig die hektischen Atemzüge des Jungen antworteten ihm.
„Bist du plötzlich stumm geworden? Komm, rede mit mir. Du hast ja keine Ahnung, wie lange es her ist, dass ich mit jemandem sprechen konnte.“
Angst! Da war viel zu viel Angst in diesem furchterstarrtem Körper. Befürchtete der Bursche etwa, dass er ihm etwas antun wollte? Vielleicht sollte er ihn besser loslassen? Vorsichtig ließ er den Jungen aus seinen Armen gleiten, hielt ihn allerdings am Handgelenk fest.
„Sprich doch“, flehte er, begierig endlich eine andere Stimme zu hören, als die des Kerkermeisters, wenn der irgendeinen Fraß brachte oder in einem Anflug von Großmut den Jaucheeimer leerte.
„Was … was wollen Sie hören?“
Kaum mehr als ein Hauch, aber es war menschliche Sprache! Thars wischte sich mit der freien Hand über das Gesicht, als seine Augen plötzlich feucht wurden.
„Fangen wir mit deinem Namen an, mein Süßer.“
„Ich heiße …“ Der Junge räusperte sich und fuhr dann etwas lauter fort: „Ich heiße Cyrian.“
Ein großer Name, ein starker Name. Ja, Brudfor hatte ohne Zweifel noch Großes mit dem Jungen vor. Cyrian versuchte zaghaft sein Handgelenk zu befreien, woraufhin er den Griff festigte. Sofort stellte der Junge die Bemühungen ein. Der Geruch nach Angst verstärkte sich wieder.
„Fürchte dich nicht, Junge. Ich werde dir kein Leid zufügen. Welche Jahreszeit haben wir da draußen?“, fragte Thars weiter.
„Frühling, Herr. Es ist Frühling draußen. Sie müssen jetzt seit sieben Monaten hier sein.“
Er hörte, wie Cyrian erschrocken nach Luft schnappte. Sicherlich hatte ihn der Junge nicht an sein Schicksal erinnern und damit verärgern wollen.
„Ja“, flüsterte er. „Sieben Monate. Monate ohne
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