Das Tier
er, Harrit, hatte den Abzug betätigt.
Die massige Gestalt fuhr herum und nahm ihn ins Visier.
Es wird mich erschlagen, ich bin ein Mörder!
Aber warum hatte es sich zuerst auf Crimson geworfen?
„Bitte …“, wimmerte er. „Bitte mach es schnell!“ Harrit kauerte sich zusammen, barg den Kopf unter den Armen und wartete mit zusammengepressten Augen auf sein brutales Ende. Trotzdem konnte er den panischen Aufschrei nicht unterdrücken, als die Pranken des Tiers über seinen Körper strichen.
„Sieh mich an!“, grollte eine tiefe Stimme, die so gar nichts mehr mit der des liebenswerten jungen Mannes zu tun hatte, den Harrit seit vielen Jahren kannte.
Vor Angst bebend ließ er die Arme ein Stück sinken und öffnete die Lider. Thars’ Gesicht schwebte dicht über ihm. Es war größer, markanter als vor Evolution 4. Bleich und schweißbedeckt, mit geröteten und entzündeten Stellen von der Säure. Doch es war eindeutig Thars, der ihn anblickte. Erschöpfung wie auch Sorge spiegelte sich in den dunklen Augen, die menschlicher schienen als Crimsons.
„Warum? Ich habe ihn getötet, und …“
„Sie wollten keinen Mord begehen, Harrit“, flüsterte Thars. „Sie wollten mich beschützen.“
Harrit nickte hastig, um gleich darauf den Kopf zu schütteln.
„Nein, ich … ich konnte das nicht zulassen, dass er Sie noch weiter foltert, darum hab ich die Pistole aus seinem Geheimfach in seinem Schreibtisch gestohlen. Er hat Sie als Ding betrachtet, als etwas wie eine übergroße Mikrobe in der Petrischale. Crimson … ich wollte längst weg von den Valorsanern, er hat mich nicht gelassen, mich erst erpresst, dann zu seinem Assistenten ernannt und gesagt, wie wichtig ich sei. Er und Kiros sind wahnsinnig! Sie wollten ein neues Serum entwickeln!“
Noch immer am ganzen Leib zitternd setzte Harrit sich auf und lehnte sich an die Wand in seinem Rücken. Seine Freunde und Kollegen waren fortgelaufen, stellte er fest. Keiner von ihnen hatte den Mut gehabt, sich Crimson entgegenzustellen. Sie hatten es ihm überlassen, einen Mord zu begehen.
Thars beobachtete den Mann, dem er sein Leben verdankte. Als jemand die Luftumwälzung betätigt hatte und die Essigsäuredämpfe abzogen, war zugleich die Witterung der Welt zurückgekehrt. Er hatte nur einen Moment gehabt, bevor Crimsons Gestank sein Bewusstsein überwältigte. Crimson, der nicht bloß ihn, sondern auch Harrit umbringen wollte. Der mittlerweile bereit war, eine ganze Stadt zu entvölkern, wenn nötig, um seine Pläne umzusetzen. Harrit war nicht einmal ein Mitläufer oder Handlanger, er war genauso ein Opfer wie Thars selbst. Etwas, das als hehres Ideal, als phantastische Idee begonnen hatte, war zum absoluten Albtraum entartet …
„Ich konnte das nicht ertragen, Thars. Sie waren für mich immer noch der kleine Junge, den Romuald mit ins Labor genommen hat, weil er Sie nicht allein lassen wollte, nachdem Ihre Mutter fortgelaufen war. Ich habe Ihnen Ölkreide zum Malen gegeben, wissen Sie noch?“
Thars nickte beklommen. Seine Mutter hatte die Experimente nicht ertragen können. Die ständige Abwesenheit seines Vaters, dessen Besessenheit mit seiner Arbeit. Eines Tages war sie gegangen, hatte einen Brief hinterlassen, dass sie sich ein neues, ein besseres Leben suchen wollte. Kein Wort von ihm. Sie schien nicht einmal daran gedacht zu haben, ihn mitzunehmen. Er hatte nie erfahren, was aus ihr geworden war. Ob sie noch lebte? Thars würde nicht nachforschen. Sie würde ihn für das hassen, was er geworden war.
„Es tut mir so leid, Thars. Alles, was geschehen ist. Was Sie durchleiden mussten. Was aus Ihnen geworden ist …“
„Mir tut es nicht mehr leid“, knurrte Thars. „Durch das, was ich jetzt bin, kann ich den Wahnsinn stoppen.“
Er richtete sich mühsam auf. Sein völlig ausgezehrter Körper wehrte sich gegen jede Anstrengung, er müsste dringend essen – viel essen – und schlafen. Aber das musste warten. Thars folgte seiner Nase, bis er seine Kleidung in einem Mülleimer fand und zog sich mühsam an.
„Wo wollen Sie hin?“, fragte Harrit ängstlich. Seine Witterung verriet, dass er Selbstmord begehen wollte, indem er das Labor anzündete. Alle Notizen, alle Nachweise für Evolution 4 sollten mit ihm sterben. Einen Moment lang dachte Thars nach, wie er ihn retten könnte, doch da gab es nichts. Harrit war nicht stark genug, mit seiner Schuld weiterzuleben. Sich der Erkenntnis zu stellen, zwanzig Jahre dem falschen Traum geopfert zu
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