Das Tor ins Nichts
Bälle, die alle einen anderen Anfang des Briefes, den ich schon den ganzen Tag zu schreiben versuchte, enthielten. Und jeder davon war so mißlungen wie der vorhergegangene. Der einzige, der bisher von meinen Bemühungen profitierte, war Merlin, mein übergewichtiger Albinokater, dem es ein höllisches Vergnügen bereitete, die kleinen Papierbällchen quer durch das Zimmer und unter die Möbel zu schießen.
Es war zum Verzweifeln ich fand einfach nicht den richtigen Anfang. Dabei war es mir heute morgen, als ich den Entschluß faßte, diesen Brief zu schreiben, so einfach erschienen schließlich mußte ich weder etwas erfinden noch versuchen, irgendwelche verborgenen Talente als Märchenerzähler zu entdecken, die in mir schlummern mochten, sondern mich einfach nur an die Wahrheit halten.
Was aber, wenn die Wahrheit zehnmal phantastischer und erschreckender war, als jeder erdachte Roman sein konnte?
Ich blickte den fast leergeschriebenen Block feindselig an, stand schließlich auf und ging zum Fenster, um hinauszublikken.
Vielleicht lag es daran, daß ich mir nicht ganz sicher war, ob ich das Richtige tat. Es war eine Sache, über die Vorgänge und Dinge jenseits der Wirklichkeit Bescheid zu wissen, aber eine ganz andere Sache, dieses Wissen in einem Brief niederzuschreiben, der an einen vollkommen fremden Menschen adressiert war. Ich wußte nicht viel mehr über diesen geheimnisvollen Mijnheer DeVries, als daß er vor ungefähr zwei Jahren in Amsterdam aufgetaucht war und sich selbst als Medium und Seher bezeichnete. Er hatte in den vergangenen zwei Jahren ein halbes Dutzend Bücher veröffentlicht, die sich allesamt mit Okkultismus und dem »Studium verbotenen Wissens«, wie er es nannte, beschäftigten. Er bewohnte ein großes Haus in Amsterdam und hatte eine kleine Schar treuer Anhänger um sich gesammelt, die ihn als eine Art Guru zu verehren schienen. Und er schlug ein ganz beachtliches Kapital aus seinem »verbotenen« Wissen, das er anscheinend jedermann mitteilte, der bereit und in der Lage war, entsprechend dafür zu bezahlen. Auf den ersten Blick also einer der üblichen Spinner, von denen es in unserer Zeit leider nur zu viele gab.
Aber nur auf den ersten Blick. Auch ich hatte DeVries ganz automatisch jener Kategorie krimineller Subjekte zugeordnet, die sich die Leichtgläubigkeit der Menschen zunutze machten, um ihnen mit viel Hokuspokus und ein paar Jahrmarkttricks das Geld aus den Taschen zu ziehen. Aber dann, vor etwa einem Monat, war mir eines seiner Bücher in die Hände gefallen, und ich hatte ein wenig darin geblättert. Mich hatte gelinde gesagt fast der Schlag getroffen.
Das Buch war Schund, nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt war, aber das, was zwischen den Zeilen stand, war der reinste Sprengstoff. Noch am selben Tag hatte ich mir auch alle anderen Werke Henk DeVries’ besorgt und in einer einzigen Nacht durchgelesen.
Die Bücher, in denen eine Art hausgemachte, reichlich krause Theologie vertreten wurde, wimmelten nur so von Andeutungen und Zitaten, die mein ungutes Gefühl schon nach kurzer Zeit in hellen Schrecken verwandelt hatten. DeVries wußte um die Geschichte der Großen Alten. Er wußte um das Necronomicon er zitierte sogar daraus, wenn auch gottlob so zusammenhanglos, daß der größte Schaden, den diese Zitate anrichten konnten, ein paar verknotete Stimmbänder waren , und er wußte um das Geheimnis der SIEBEN SIEGEL DER MACHT.
Wahrscheinlich gab es außer mir auf der ganzen Welt nur eine Handvoll Menschen, die die geheimnisvollen Andeutungen in DeVries’ Büchern erkennen konnten, aber eines war mir sofort klar gewesen: Entweder war dieser DeVries ein Verrückter, oder er war ein Eingeweihter, der versuchte, auf diesem Wege Kontakt mit anderen aufzunehmen, während er sich nach außen hin ganz bewußt den Anschein eines Spinners gab, für den sich allenfalls das Betrugsdezernat interessieren würde. So oder so mußte ich mit ihm in Verbindung treten, sei es, um einen Verbündeten zu finden, oder um diesem sauberen Mijnheer ein bißchen auf die Finger zu klopfen und ihm das Handwerk zu legen.
Das Problem war bloß, daß ich nicht an ihn herankam.
Ich versuchte ihn anzurufen zwecklos. Meist meldete sich nur die unpersönliche Stimme eines Anrufbeantworters, und die beiden Male, da ich wirklich mit einem lebenden Menschen sprach, geriet ich an einen äußerst zuvorkommenden, aber auch äußerst hartnäckigen Sekretär, der mir mitteilte, daß der Meister im
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