Das Tor Zur Hölle
hinaus, um sich das Gesicht zu waschen.
Als sie den Flur entlangging, hörte sie das Zimmer ächzen — es gab kein anderes Wort dafür. Sie blieb reglos stehen, überlegte, ob sie zurückgehen sollte. Doch das Blut an ihren Händen begann zu trocknen, und das klebrige Gefühl ekelte sie an.
Im Badezimmer zog sie ihre geblümte Bluse aus und wusch sich zuerst die Hände, dann ihre blutbespritzten Arme und schließlich ihren Hals. Das Wasser kühlte und stärkte sie. Es fühlte sich gut an. Nachdem das getan war, wusch sie das Messer, spülte das Waschbecken aus und ging wieder auf den Flur hinaus, ohne sich abzutrocknen oder anzuziehen.
Beides war auch unnötig. Das Zimmer glich einem Hochofen, als die Energien des toten Mannes pulsierend aus seinem Körper strömten. Sie kamen nicht weit. Schon kroch das Blut auf dem Boden auf die Wand zu, wo Frank war — die Tropfen schienen zu brodeln und zu verdampfen, als sie in die Nähe der Fußleiste kamen. Gebannt schaute sie zu. Doch es kam noch mehr — es geschah etwas mit der Leiche, jeder Nährstoff aus ihr wurde abgezapft. Sein Körper fiel in sich zusammen, die Haut schrumpelte vor ihren erschreckten Augen. Irgendwann fielen seine Plastikzähne nach hinten in seinen Schlund, und das Zahnfleisch verdorrte.
In wenigen Augenblicken schien alles vorbei. Was die Leiche an Nützlichem und Nahrhaftem anzubieten hatte, wurde aufgesogen. Julia war beeindruckt. Plötzlich begann die Glühbirne zu flackern. Erwartungsvoll schaute sie zur Wand, überzeugt, daß diese nun erbeben und ihren Geliebten aus seinem Versteck entlassen würde. Doch nein — die Glühbirne ging aus. Es blieb nur der schwache Lichtschimmer, der durch die uralten Rollos kroch.
»Wo bist du?« fragte sie.
Die Wände blieben stumm.
»Wo bist du?«
Noch immer keine Antwort. Das Zimmer wurde kühler, und ihre Brüste überzogen sich mit Gänsehaut. Sie schaute hinunter auf die Leuchtanzeige der Uhr am zusammengeschrumpften Arm des Lämmchens. Sie tickte dahin, ohne sich um die Apokalypse zu scheren, die ihren Besitzer ereilt hatte — vier Uhr einundvierzig. Rory würde irgendwann ab Viertel nach fünf kommen, je nachdem, wie dicht der Verkehr war. Bis dahin hatte sie noch viel zu tun.
Sie wickelte den blauen Anzug und den Rest seiner Kleidung zusammen, packte sie in mehrere Plastiktüten und machte sich dann auf die Suche nach einer größeren Tüte für seine sterblichen Überreste. Eigentlich hatte sie erwartet, daß Frank hier sein und ihr bei dieser Arbeit helfen würde, doch er hatte sich noch nicht gezeigt, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als alles allein zu tun.
Als sie in das Zimmer zurückkam, war der Auflösungsprozeß des Lämmchens noch immer nicht abgeschlossen, auch wenn er nun viel langsamer vor sich ging. Vielleicht fand Frank immer noch Nährstoffe, die er aus der Leiche herauspressen konnte? Als sie den ausgehöhlten Körper schließlich in die Tüte einpackte, hatte er das Gewicht eines kleinen Kindes, mehr nicht. Sie band die Plastiktüte zu und wollte sie gerade nach unten zum Wagen bringen, als sie hörte, wie die Haustür geöffnet wurde.
Das Geräusch ließ die Panik hervorbrechen, die sie so beharrlich unterdrückt hatte. Sie begann zu zittern. Tränen brannten in ihrer Kehle.
»Nicht jetzt …« flehte sie, doch ihr Entsetzen ließ sich einfach nicht länger unterdrücken.
Im Flur unten sagte Rory: »Schätzchen?«
Schätzchen! Sie hätte laut auflachen mögen, wäre da nicht der Schrecken gewesen. Sie war hier, wenn er sie suchte — sein Schätzchen, seine Zuckermaus — mit ihren frisch gewaschenen Brüsten und einem toten Mann in ihren Armen.
»Wo bist du?«
Sie zögerte, bevor sie antwortete, nicht ganz sicher, ob ihre Stimmbänder gehorchen würden.
Er rief ein drittes Mal, und der Klang seiner Stimme veränderte sich, als er zur Küche ging. Er würde nur einen Augenblick brauchen, um zu sehen, daß sie nicht am Herd stand und die Soße rührte; dann würde er zurückkommen und die Treppe hinaufgehen. Sie hatte zehn Sekunden; im Höchstfall fünfzehn.
Voller Angst, daß er sie hören könnte, schlich sie mit ihrer Last leise zu dem Zimmer am Ende des Flurs. Da es zu klein war, um als Schlafzimmer benutzt zu werden (es sei denn vielleicht für ein Kind), hatten sie es zur Rumpelkammer umfunktioniert. Halb ausgepackte Kisten;
Möbelstücke, für die sie noch keinen Platz gefunden hatten; alles Mögliche an Krimskrams. Hier legte sie die Leiche fürs
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