Das Totenschiff
doch einen gesunden hieven. Wer weiß, vielleicht kommt doch bald ein Kasten vorbei und holt uns über. In meinem Leben könnte ich es mir dann nicht vergeben, daß ich hier das alles zurückgelassen habe, ohne es mal durchzukosten.«
Warum sollte denn Stanislaw das Vergnügen allein genießen?
Es begann jedenfalls jetzt eine Schlemmerei, die sich selbst der Skipper nie auf einen Sitz erlaubt haben würde.
Es war ja alles so schön da in Büchsen. Salm von British Columbia, Wurst von Bologna, Hähnchen, Hühnerfrikassee, Pasteten, Zungen aller Art, ein Dutzend verschiedene eingemachte Früchte, zwei Dutzend verschiedene Sorten Jam, Biskuits, Gemüse der besten Auslesen, Liköre, Schnäpse, Weine, Ales, Stouts, Pilsener. Die Kapitäne, Offiziere und Ingenieure wissen sich das Leben angenehm zu machen. Aber wir waren jetzt die Besitzer und die Esser, während die früheren Esser jetzt schwammen und gegessen wurden, um die Fische fett zu machen.
Den folgenden Tag war es sehr diesig und dunstig. Wir konnten kaum eine halbe Meile weit sehen.
»Wir kriegen schweres Wetter«, sagte Stanislaw. Am Abend kam es auf. Schwerer und schwerer.
Wir saßen in des Skippers Kabine bei einer Petroleum-Notlaterne.
Stanislaw machte ein besorgtes Gesicht: »Wenn die ›Empreß‹ abhaut oder ’runterbricht vom Riff, dann sind wir geliefert, Junge. Wir wollen uns mal schon beizeiten umsehen.«
Er fand etwa drei Meter Tauende, das er sich um den Leib band, um es zur Hand zu haben. Alles, was ich finden konnte, war eine halb aufgebrauchte Rolle Bindfaden, kaum so stark wie ein Bleistift.
»Wir klettern besser den Schacht hoch«, schlug Stanislaw vor.
»Hier drinnen sitzen wir in der Falle, wenn der Rummel losgeht. Oben hat man immer noch eine Möglichkeit, abzukommen.«
»Wenn du oben in die Wicken gehen sollst, dann gehst du oben, und wenn du unten vor die Fische gehen sollst, dann unten«, sagte ich. »Eins wie das andre. Wenn du vom Auto überfahren werden sollst, dann springt es ’rüber zum Schaufenster, vor dem du stehst, brauchst dem Auto gar nicht nachzulaufen oder in den Weg zu rennen.«
»Du bist mir einer. Wenn du im Wasser ersaufen sollst, dann kannst du ruhig deinen Hals auf die Eisenbahnschienen legen, und der Expreß springt über dich weg wie ein Luftschiff. Daran glaube ich nicht. Ich lege meinen Hals nicht auf die Schinen. Ich gehe ’rauf und sehe zu, was geschieht.«
Er kletterte den Korridorschacht hinauf, und da mir einleuchtete, daß er recht habe, kletterte ich hinterher.
Dann saßen wir wieder oben auf der Achternwand von Mittschiff, dicht nebeneinander. Wir mußten uns an den Beschlägen festhalten, sonst hätte uns der Sturm hinuntergeschleudert.
Immer mehr kam das Wetter in Aufruhr. Schwere Brecher wüteten gegen die unter uns liegende Vorfront von Mittschiff und brandeten gegen die Skipperkabinen.
»Wenn das die ganze Nacht so fortgeht«, sagte Stanislaw, »dann ist morgen früh von der Kabine nichts mehr übrig. Ich glaube sogar stark, die Brecher holen das ganze Mittschiff ab. Dann bleiben uns nur noch die Kammern im Stern und der Maschinenraum, wo die Rudermaschine steht. Dann gute Nacht Essen und Trinken. Da findet keine Maus was.«
»Vielleicht besser, wir klettern jetzt schon ’rauf«, riet ich, »denn wenn das Mittschiff abrasselt, haben wir keine Zeit mehr. Dann schwimmen wir auch schon.«
»So mit einem Hieb haut das Mittschiff nicht ab«, erklärte nun Stanislaw, »das geht in Stücken zum Teufel. Und wenn unten eine Wand losbricht, haben wir Zeit genug, ’raufzuklettern.« Stanislaw hatte recht.
Aber das Recht ändert sich durch wechselnde Verhältnisse. Es gibt nichts, das nicht einmal Recht gewesen ist. Man darf das Recht nur nicht einpökeln wollen und erwarten, daß es in hundert Jahren noch immer Recht, vielleicht gar dasselbe Recht sein werde.
Stanislaw hatte ganz gewiß recht. Aber einige Minuten später hatte er schon nicht mehr recht.
Drei gigantische Brecher, von denen jeder folgende immer zehnfach schwerer und stärker zu sein schien als der vorangegangene, wüteten mit donnerndem Gebrüll, als wollten sie die ganze Erde verschlingen, gegen die »Empreß«.
Das tobende Gebrüll der Brecher und der nachziehenden Brandungswogen war ein drohendes Wutgeheul gegen die »Empreß«, die es wagte, ihnen auf diesem Riff so lange Trotz zu bieten.
Der dritte Becher brachte die steil hochgeworfene »Empreß« zum Schwanken. Aber sie stand noch. Doch wir beide hatten es im
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