Das Treffen in Telgte
er kürzlich die Mägde im Stroh bedient habe. Nein, ihm sei nicht der Gegenstand vor oder nach dem Schnitt ärgerlich, sondern die glatte Manier. Schade, daß der Gelnhausen schon über alle Berge. Der hätte das saftige Gemetzel und den erzwungenen Verzicht der Helisse nackt und laut schreiend daherlaufen lassen. Weil sich jetzt viele (doch Gryphius nicht) meldeten, um am Gemächt des Abelard rumzumäkeln, sagte Simon Dach: Er habe nun genug über das verruchte und doch nützliche Werkzeug gehört. Ihm sei die Geschichte zu Herzen gegangen. Es solle doch niemand den anrührenden Schluß vergessen, welcher die Liebenden endlich in einem Grabe eine, wo sich ihr Gebein sogleich miteinander zu verästeln suche. Ihm seien, das hörend, die Tränen gekommen.
Als hätte er alle Kritik vorgewußt, hatte Hoffmannswaldau den Schwall der Wechselreden lächelnd genommen. Es war, anfangs von Dach angeraten, mittlerweile zur Regel geworden, daß der Vorlesende nichts zu seiner Verteidigung sagte. Deshalb ließ auch Weckherlin alles über sich ergehen, was nach dem Vortrag seiner Ode »Küß« an überschüssiger Klugheit verbreitet wurde.
Der Alte hatte dieses Gedicht, wie seine übrige Produktion, vor bald dreißig Jahren als immer noch junger Mann geschrieben. Danach war er, weil ihn in Stuttgart nichts hielt, zuerst in kurpfälzischen Agentendienst, dann, um der Pfalz nützlicher zu sein, in englischen Staatsdienst getreten. Nichts nennenswert Neues war seitdem entstanden, nur Hunderte, die Politik hintertreibende Agentenbriefe an Opitz, Niclassius, Oxenstierna… Und doch waren Weckherlins spielerische, stellenweis unbeholfene, Jahre vor der Opitzschen Poetiklehre geschriebene Liedchen frisch geblieben, zumal es der Alte beim Vortrag verstand, die leichtfertigen Verse und flachen Reime – »Mein liebreiches Schätzelein Gib mir so vil schmätzelein…« – mit schwäbischer Zunge über jede Stolperschwelle zu heben.
Anfangs hatte Weckherlin gesagt, er wolle nun, da ihm sein Dienst als Unterstaatssekretär auf Reisen Gelegenheit lasse, seine gereimten Jugendsünden, die in Mehrheit französischem Vorbild nachgedichtet seien und noch aus der alten, der Vorkriegszeit stammten, fleißig überarbeiten, um sie mit besseren Hebungen und Senkungen neu in Druck zu geben. Er sei ja, wenn er die Jungen höre, ein wahres Fossil. Erst nach ihm hätten der seelige Boberschwan und der verdienstvolle Augustus Buchner Hilfreiches über die deutsche Dichtersprache zur Belehrung verbreitet.
Die Kritik feierte ihn. Weil es ihn immer noch gab. Wir Jungen hatten den Alten schon tot geglaubt. Überrascht waren wir gewesen, den Vorläufer unserer noch jungen Kunst so quick zu sehen: er war sogar der Libuschka ins Bett gestiegen, als sei er noch immer leichtfüßiger Oden mächtig.
Rist, dem alle Buhlliedchen ärgerlich waren, bekannte sich dennoch als Opitzianer zu Weckherlin. Buchner holte weit aus und schickte mit Zesen und Gerhardt, die in Wittenberg seine Schüler gewesen waren, alle anderen abermals in die Versschule. Logau schwieg wie zuvor.
Und dann mußte Simon Dach den Stuhl wechseln; er bat den alten Weckherlin, seinen schon angestammten Sessel zu hüten. Dachs lange »Klage über den endlichen Vntergang vnd ruinierung der Musicalischen Kürbs-Hütte vnd Gärtchens« will als Leichgedicht dem Freund Albert Trost sagen über dessen von Schlamm und Bauschutt zerstörten Garten auf der Pregelinsel Lomse. Den weiträumigen Alexandriner nutzend, werden die Entstehung der Anlage, wobei der bierselige Bälgetreter dem Organisten mit dem Pflanzspaten zur Seite steht, die literarischen und musikalischen Festlichkeiten der Freunde und deren idyllische Lust geschildert: die glücklich gefundene Harmonie. Weitab vollzieht sich das Kriegsgeschehen mit Hunger Pest Brand; nah sind Zwist und Streit der Bürger, das ewige Kanzelgezänk. Wie Jonas in der biblischen Kürbishütte dem sündigen Ninive mit dem Zorn Gottes droht, mahnt Dach sein dreistädtisches Königsberg. Es mündet die Klage über die Zerstörung Magdeburgs (wo der junge Dach studiert hatte) in umfassende Trauer über das sich selbst zerstückelnde Deutschland. Der Verdammung des Krieges – »So bald zeucht einer auß daß wilde Krieges Schwerdt, Daß wiederumb sehr schwer in seine Scheide fährt…« – folgt der Wunsch nach einer gültigen Friedensordnung: »O würden wir doch klug durch frembder Noht vnd Schaden, Ohn Zweiffel kähmen wir bey Gott hiedurch zu Gnaden!« Dachs
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