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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Klage schließt, nachdem er sich und seinen Albert aufgerufen hat, das zu tun, was sie können und die Zeit zu nutzen – »Wir zwingen ihren Zwang, sie wüte wie sie kan…«, in den hohen Anspruch der ihre Kürbishütte überdauernden Poesie: »Es ist kein Reim, wofern ihn Geist vnd Leben schreibt, Der vnß der Ewigkeit nicht eilends einverleibt.«
    Das hörten wir gern. Allen Versammelten war das aus dem Herzen gesprochen. Wenn ihnen gegenwärtig keine Macht und kaum Ansehen zukamen, weil die Gegenwart einzig von Krieg und Länderraub, von Glaubenszwängen und kurzlebiger Gewinnsucht beherrscht war, wollten sie mit Hilfe der Poesie mächtig zukünftig sein und ihr Ansehen der Ewigkeit versichern. Diese kleine, ein wenig lächerliche Macht gab ihnen sogar die Möglichkeit, zu ordentlich bezahlten Aufträgen zu kommen. Ahnend, daß sie sterblicher seien als die Poeten, hofften die reichen Bürger und etliche Landesfürsten, mit Hilfe von Hochzeitsgedichten, Huldigungspoemen und gereimten Leichabdankungen, also auf dem Rücken zumeist schnell geschriebener Verse, in die Ewigkeit getragen zu werden, und zwar namentlich.
    Mehr noch als andere verdiente sich Simon Dach sein Zubrot durch Auftragsgedichte. Im Kreis der Kollegen hatte er, sobald sie ihre Honorare verglichen, seinen bitteren Scherz parat: »Kurtz, bey Heyrath und bey Leichen Spricht man mich umb Lieder an Gleich als einen Arbeitsmann.« Sogar seine Kneiphöfische Professur verdankte Dach etlichen Huldigungsgedichten, die er Ende der dreißiger Jahre, zum Einzug des Kurfürsten in die Stadt, rasch hingeworfen hatte.
    Deshalb mußte, nachdem der Versammlung viel Lobendes über die Kürbs-Hütten-Klage eingefallen war, des Gryphius doppelsinniger Einwurf – »Du machst dreyhundert vers eh’ als ich drey gemacht, Ein Lorberbaum wächst spät, ein Kürbs in einer nacht« – als boshafte Anspielung auf Dachs notgedrungene Vielschreiberei gehört werden. Als gleich darauf Rist zuerst die Moral des Lamento lobte, um dann an mythologischen Anspielungen, etwa am Vergleich des niedergebrannten Magdeburg mit Theben, Corinth, Carthago und an der Anrufung der Muse Melpomene Anstoß zu nehmen, war, vor Zesen, sogleich Buchner zur Gegenrede bereit: Keine Verwelschung schände dieses Gedicht. Alles ströme lebendig aus deutschem Mund. Notwendig, weil den Gegensatz betonend, stünden wenige antike Zeugen in dem herrlichen Bau, der ohne Vergleich sei.
    Aus Dachs Sessel sagte der alte Weckherlin: Schöner habe man nicht schließen können. Und Harsdörffer rief: O, hätten wir doch gegen die schlimme Zeit eine Kürbislaube, weit genug für uns alle!
    Mehr mußte nicht gesagt werden. Genug Lob hatte des Gryphius Kränkung verdeckt. Lachend (und wie erleichtert) stand Simon Dach vom Schemel neben der Distel auf. Er umarmte Weckherlin und führte den Alten zu dessen Stuhl. Mehrmals ging er vor seinem Sessel, dem leeren Schemel und der Distel im Topf auf und ab. Dann sagte er: Das sei alles gewesen. Er freue sich über den doch noch friedfertigen Verlauf. Deshalb wolle er für alle hier Versammelten dem himmlischen Vater Dank sagen. Amen. – Ihm habe übrigens das Treffen, trotz einiger Ärgerlichkeiten, gefallen. Beim Mittagsmahl, bevor man in jede Richtung auseinanderlaufe, werde er noch dies oder das nachtragen. Mehr falle ihm im Moment nicht ein. Doch nun müsse er wohl, weil er Rist und Moscherosch unruhig sehe, die Politik zulassen, das leidige Manifest.
    Darauf setzte sich Dach wieder, rief die Verfasser des Friedensaufrufes nach vorn und sagte, als wegen Logaus Einspruch Unruhe aufkam, vorbeugend: Aber kein Streit, Kinder!
    21
    Nein! rief er mehrmals. Nein, bevor wir die Große Diele wieder bezogen hatten, nein, als alle um Dach und die Distel versammelt saßen. Und als Rist und Moscherosch mit der Verlesung der Manifestentwürfe fertig waren, rief Logau immer noch: Nein! Vorweg und hernach. Grundsätzlich: Nein!
    Alles nannte er jämmerlich: Rists tönende Donnerworte, den bürgerlichen Kleinkram der Straßburger, die jeden Konflikt umschreibenden Floskeln aus Hoffmannswaldaus Feder, Harsdörffers reichsstädterisches Taktieren und den Gebrauch von »teutsch« und »Teutschland« als Flickwörter für jeden Halbsatz. Jämmerlich dumm verlogen! rief Logau, der sich nicht mehr kurzfassen wollte, sondern bar aller verknappenden Ironie für längere Rede zornig genug war, um Satz nach Satz die Manifeste von ihrem Wortplunder zu entkleiden.
    Der eher schmächtige Mann

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