Das Turmzimmer
und stieß die Tür auf, die sich mit einem ergebenen Seufzer fügte. Ich gehe einmal davon aus, dass ich Ja gesagt habe. Doch ich war nicht im Mindesten bereit. Selbst heute, nachdem so viele Jahre vergangen sind, dass das Ganze genauso gut erfunden sein könnte, spüre ich ein starkes, prickelndes Unbehagen bei dem Gedanken an den Moment, in dem ich über die Türschwelle trat. Alles, was mir bekannt und vertraut war, verschwand hinter mir, ohne dass ich mir dessen bewusst war. Alles, was ich war, wurde plötzlich in Frage gestellt, und ich weiß nicht einmal, was mich am meisten beunruhigt: dass es passiert ist oder dass es genauso gut nicht hätte passieren können.
Denn ich kam nie wieder fort von Liljenholm. Das ist die kurze Geschichte. Und die lange? Die erzähle ich Ihnen natürlich, wenn ich dieses Vorwort zu Ende geschrieben habe. Doch ich möchte noch einen Augenblick warten, bis ich das Wort an die wesentlich jüngere Ausgabe meiner selbst übergebe. An sie, die alles, was in diesem Winter auf Liljenholm passiert ist, und alles, was dem vorausging, aufgeschrieben und das Ergebnis dann 1943 als Roman herausgebracht hat, Das Turmzimmer . Unter dem wenig passenden Pseudonym A. von Liljenholm übrigens. Doch bevor ich mich ganz in der Vergangenheit verliere, muss ich darauf aufmerksam machen, dass ich dieses Vorwort nicht ganz freiwillig schreibe. Eigentlich verstehe ich nicht, warum ein Buch wie Das Turmzimmer überhaupt ein Vorwort braucht, doch meine Verlegerin ist da offenbar anderer Meinung. Bella heißt sie. Sie ist Nellas Tochter, und ich habe sonst nie große Probleme damit, Nein zu sagen, doch ich kann unmöglich einem Menschen etwas abschlagen, der Nella so sehr gleicht. Meiner Nella. Das macht die Liebe mit einem.
Bella kam neulich auf Liljenholm vorbei und küsste mich auf die Wange, wie sie das immer tut. Sie ist die reinste Augenweide mit ihren langen Gliedmaßen und ihrem sonnengebleichten Haar, das um ihr Gesicht schwingt. Ein wenig wie diese modernen Staubwedel, mit denen meine neue, junge Haushälterin herumeilt, aber natürlich schöner. Was Bellas Kleidung angeht, bin ich mir nicht so sicher, doch sie behauptet, dass kurze Röcke modern sind, und das wird schon stimmen. Ich selbst habe nie das Privileg genossen, mit meiner Zeit im Einklang zu sein, sodass ich mir kein Urteil anmaßen will.
»Der Verlag hat beschlossen, Das Turmzimmer in einer neuen Schmuckausgabe herauszubringen. Du weißt schon, mit allem Drum und Dran, mit Schutzumschlag und so«, sagte sie.
»Zu welchem Anlass, meine Liebe?«, fragte ich, und erlauben Sie mir den Kommentar, dass es dieses Buch doch wohl mehr als verdient hat, nicht nur anlässlich eines albernen Gedenktags neu aufgelegt zu werden.
» Das Turmzimmer ist schließlich vor genau dreißig Jahren zum ersten Mal erschienen, hast du das vergessen?«
»Was du nicht sagst!«
Ich bin auf meine alten Tage so zynisch geworden, sagt meine Freundin und Privatsekretärin Marguerite. Doch das liegt einzig und alleine daran, dass ich es nicht mehr so gut verbergen kann. Selbst wenn das Leben tut, was immer es kann, um sich zu verkleiden, wiederholt sich im Grunde genommen doch alles nur immer wieder, und wenn man die 75 erreicht hat, werden die Zeitspannen zwischen den Überraschungen allmählich furchtbar lang. Doch Bella zog eine für mich aus dem Ärmel.
»Ich weiß sehr wohl, dass du es hassen wirst«, sagte sie und fing meinen Blick ein. »Aber es war Nellas letzter Wunsch, dass du ein Vorwort schreibst, wenn ausreichend Zeit verstrichen ist . So hat sie es formuliert.«
»Was für ein Unsinn!«
Bella hob die Hand auf genau die gleiche Weise, wie Nella es immer getan hatte, wenn sie sich Gehör verschaffen wollte. Ich musste kurz wegsehen, um die Fassung wiederzugewinnen.
» Das Turmzimmer hat Mutter schließlich genauso viel bedeutet wie dir«, sagte sie eindringlich. »Sie hat sich wirklich gewünscht, dass du die Geschichte bis heute zu Ende erzählst.«
In diesem Augenblick trat Marguerite in mein Arbeitszimmer. Unser alter Hütehund, Simo der Dritte, folgte ihr auf den Fersen. Sie stellte zwei Tassen mit schwarzem Kaffee und einen steifen Whisky auf den kleinen Beistelltisch, den ich mir an meinem Schreibtisch habe anbringen lassen, und ich musste es mir verkneifen, ihr frischblondiertes Haar anzustarren. Es mag gut sein, dass ihr Frisör die Farbe als hellen Kornton bezeichnet, doch das Ergebnis sieht seltsam aus. Und gedrungen. Als hätte ihr
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