Das Turmzimmer
einzige Tochter alles geerbt hatte. Doch bis jetzt hatte sie sich geweigert zurückzukehren, was jeder Logik widersprach, wie ich gedacht hatte. Bis ich selbst hier stand, mich an meinem Mantel zu schaffen machte und wie eine Wahnsinnige schwitzte. Genau genommen hätte Nella schon lange Ordnung in Antonias persönliche Papiere und hinterlassene Manuskripte bringen und die wertvollsten Möbel zum Verkauf anbieten müssen. Wenn aus keinem anderen Grund, dann aus dem, dass Nellas ansonsten vorzüglicher Verlag langsam der Pleite entgegenging. Es gab keinen Grund, zusammen mit den Kirchenratten und mir zu enden, wenn man dem entgehen konnte. Ich hatte gerade zum Gott weiß wievielten Mal meine Arbeit als Sekretärin verloren, was nicht an meinen Qualifikationen lag. Das zu schreiben gebietet mir mein Stolz. Ich war immer die Beste, auch darin, gekündigt zu werden, und mein Aussehen und Auftreten trugen zweifellos einen Teil der Schuld. Ich sah einfach nicht so aus und verhielt mich nicht so, wie man es von einer Sekretärin erwartete.
Doch genug davon. Jetzt waren wir endlich hier, und Nellas einzige Aufgabe bestand darin, Liljenholm so schnell wie möglich verkaufsfertig zu machen. Und meine Aufgabe? Tja, es mag gut sein, dass ich altmodisch bin, doch in meiner Welt sollte eine jüngere, unverheiratete Frau sich nicht alleine auf einem verlassenen Gut aufhalten, schon gar nicht mehrere Tage und Nächte lang, und deshalb hatte ich beschlossen, mitzufahren und ihr nach bestem Vermögen zu helfen. Man ist schließlich galant, auch wenn Nella wirklich getan hatte, was sie konnte, um mir das auszureden. Sie schaffe das Ganze leicht alleine, hatte sie betont. Es bestand nicht der geringste Grund, dass ich mein letztes Erspartes für eine Zugfahrkarte ausgab, und wenn ich Ihnen gegenüber, lieber Leser, von Anfang an ehrlich sein soll, habe ich ihr auch nicht nur um ihrer schönen Augen willen geholfen. Ich habe ihr geholfen, weil ihr Blick immer hart und dunkel wurde, wenn ich Liljenholm auch nur erwähnte, und das hat mich neugierig gemacht, das kann ich genauso gut zugeben. Ich wollte wissen, warum.
Nella musste mich etwas gefragt haben, und ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, wartete sie schon eine ganze Weile auf eine Antwort. Schnell griff ich nach ein paar freien Bügeln zwischen den ganzen Mänteln. Sie rochen noch immer nach Antonias schwerem, orientalischem Parfüm, stellte ich fest, und das sagte ich auch. Nella schnupperte.
»Was schlägst du vor?«, fragte sie, und ich hätte gerne gesagt, dass ich vorschlug, umzukehren und nach Hause zu fahren. Es half nicht, dass mein Mantel jetzt auf einem Bügel hing und ich objektiv betrachtet zu dünn angezogen war. Ich schwitzte noch immer stark, und der alkoholgeschwängerte Parfümgeruch brannte in meiner Nase und setzte sich in meiner Kehle fest, sodass ich hustete, statt zu antworten. Nella nickte.
»Gut, dann drehen wir eine Runde durch mein altes Elternhaus, bevor wir auspacken«, sagte sie und blickte zu dem halbkreisförmigen Fenster über der Tür hoch, dessen Farbe in diesem Moment von hellgrau zu dunkelgrau wechselte.
»Das schaffen wir gut, bevor es dunkel wird, meinst du nicht?«
Heute Nacht sollte es Schnee geben, möglicherweise sogar einen Schneesturm. Den Wind hatten wir jedenfalls den ganzen Weg vom Bahnhof bis hier heraus wie eine kalte Hand im Nacken gespürt. Ich blickte mich um. Auf allem lag eine versöhnliche Schicht Staub, die davon zeugte, dass die Zerstörungen nicht neueren Datums waren. Was ich übrigens sehr wohl wusste. Zu den Zerstörungen war es bei unserem letzten Besuch gekommen, und mein Herz beruhigte sich ein wenig. Schließlich gab es nichts, wovor man Angst haben musste, nicht mehr, ich brauchte nur zu helfen, nett zu sein und die Dinge zu regeln, dann waren wir bald wieder in Kopenhagen, wo wir hingehörten.
»Worauf warten wir dann noch?«, fragte ich, und Nella drückte leicht meine Schulter.
»Auf dich«, sagte sie und knöpfte mit flinken Fingern ihren Mantel auf. Eins dieser kunstvollen Kleidungsstücke mit stoffbezogenen Knöpfen. Aus der Zeit vor dem Krieg, natürlich. Nella zog ihn nur bei besonderen Gelegenheiten an. Darunter trug sie ihre dickste Wolljacke. Gut, dass zumindest eine von uns wusste, was es hieß, Liljenholm im Winterhalbjahr einen Besuch abzustatten.
»Sollen wir?«
Sie glich einer Figur aus einem schlechten Stummfilm, als sie über die vertrauten Fliesen ging, scheinbar ohne besondere
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