Das Unglück der kleinen Giftmischerin
Tätigkeit, die vor der Perestroika nicht nur ideologisch suspekt, sondern auch mit strikten Beschränkungen belegt gewesen war. Außer den Kolchosbauern durften nur Rentner oder Invaliden als Blumen-, Beeren- oder Pilzverkäufer kleine Geschäfte tätigen. Verboten war insbesondere, etwas zu erwerben, um es dann mit Profit weiterzuverkaufen, privat verkauft werden durfte eben nur das, was man selbst eigenhändig produziert oder gesammelt hatte, und natürlich die selbst genutzten eigenen Sachen. Wie auch sonst im Leben eines Sowjetbürgers war eindeutig festgelegt, was man durfte, alles andere war verboten, Grau- oder Übergangszonen gab es nicht. Ich erinnerte mich an ein Straßenschild mit der Aufschrift »Erlaubt« unter einem Rollschuh, das ich bei meinem ersten Nachkriegsbesuch 1985 an einer wenig belebten Straße meiner Heimatstadt Tallinn gesehen hatte. Das hieß auch, überall wo kein solches Schild stand, war Rollschuhlaufen selbstverständlich verboten.
Mit der Perestroika verschwamm diese Eindeutigkeit der Erlaubnisse und der Verbote und damit wurden auch Übertretungen nicht mehr automatisch sanktioniert. Noch zu Breschnews Zeiten hatten selbst kleine Verfehlungen zu unübersehbaren Folgen führen können, auch weil die Auslegung der strafrechtlichen Bestimmungen durch die Gerichte immer einen Faktor politischer Opportunität und manchmal auch persönlicher Willkür enthielt. Das war ein wirkungsvoller Disziplinierungsfaktor gewesen. Ab 1987 wurden immer mehr vorher streng verbotene private Geschäftstätigkeiten zunehmend von den Autoritäten toleriert, zu manchen von ihnen wurde man jetzt sogar ermutigt, dies aber, ohne dass eine eindeutige gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wurde. Fast alles in diesem Bereich verwandelte sich so zu einer Grauzone, die dazu aufforderte, es doch einfach einmal zu probieren, zumal die Angst vor Strafen allmählich verflog. Puchlins hatte in dieser Zeit, noch als Student, einen Job bei der Staatsbank gefunden. Als die großen Rubelscheine für ungültig erklärt wurden und der Staat gleichzeitig auch eine Obergrenze für ihren Umtausch festsetzte, bat ihn ein Freund, seine restlichen für ihn einzutauschen. Die Provision, die er für diesen kleinen Freundschaftsdienst erhielt, reichte aus, um sich einen Lada zu kaufen. Natürlich war das alles verboten, aber fast jeder machte nun schon solche Geschäfte, nutzte seine Stellung, um zu mehr Geld zu kommen. »Business«, vorher verpönt und verfolgt, begann im Untergang der alten sozialistischen Gesellschaftsordnung zur Wertegrundlage der neuen zu werden. Was man war und was man galt, wurde zunehmend vom geschäftlichen Erfolg abhängig, den man durch Einfallsreichtum und Nutzung aller seiner Chancen erzielen konnte. Für Puchlins, der einer Familie entstammte, die vom Vater eine sozialistische Moral und einen Heidenrespekt vor den Sanktionen des Staates eingeflößt bekommen hatte, musste dieser gesellschaftliche Wandel zu einer schweren Erschütterung seiner gesamten Existenz führen, zu einer Verunsicherung, aber gewiss auch zu dem Gefühl einer sich plötzlich grenzenlos gebärdenden Freiheit.
Nach dem erfolgreichen Bankgeschäft gab Puchlins seine akademischen Studienpläne endgültig auf. Er verkaufte seinen Lada zu einem sehr günstigen Preis, um über Startkapital für eine neue Geschäftsidee zu verfügen: Export und Import als Einmannbetrieb, als »Ich-AG«, wie das heute so schön heißt. Er kaufte industrielle Güter der (noch) Sowjetrepublik auf, um sie in Rumänien zu verkaufen, und brachte von dort vor allem landwirtschaftliche Produkte mit. Natürlich hatte er dazu keinerlei Genehmigung, rechtlich gesehen handelte es sich immer noch um Schmuggel. Aber die Zollvorschriften beachtete zu jener Zeit kaum jemand mehr. Die Gewinne, die er auf diesen Reisen machte, reichten aus, um auf eine einträglichere Geschäftssparte umzusteigen: den Ankauf deutscher Gebrauchtwagen und deren Verkauf in seiner Stadt. Als er sich auf den deutschen Automärkten schon etwas auskannte, kamen Vermittlungstätigkeiten für noch unerfahrene Landsleute, die ebenfalls solche Geschäfte tätigen wollten, hinzu. Einmal war er dazu als Tourist eingereist, das zweite Mal stellte er unter Vorlage der alten sowjetischen Pässe einen Asylantrag, behielt aber die neuen Ausweispapiere seiner inzwischen unabhängig gewordenen Republik, so dass er jederzeit wieder dorthin zurückkonnte.
Puchlins’ Geschäfte waren für ihn kein
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