Das Vamperl
sprang auf. »Das Gift aus der Galle?! Gute Frau, wissen Sie, was Sie da sagen?«
Frau Lizzi stand ebenfalls auf.
»Ich bin nicht Ihre ›gute Frau‹ und ich weiß genau, was ich sage. Ich bin zwar alt, aber deswegen noch lange nicht blöd. Vamperl,
wir gehen!«
Professor Obermeier fasste sie am Arm. Er flehte sie an ihm nicht böse zusein. »Ich bin etwas außer mir«, sagte er. »Ihr Vamperl könnte von unvorstellbarem Wert für die Wissenschaft sein!«
Seine Augen funkelten Frau Lizzi unheimlich an.
»Also, vor allem ist mein Vamperl von unvorstellbarem Wert für unser Haus«, sagte sie. »Seit er da ist, hat der Hannes keine
Prügel mehr bekommen, und seit er keine Prügel mehr bekommt, ist er ein anderes Kind. Erst gestern hat er mir den Einkaufskorb
hinaufgetragen! Er lernt auch besser. So und jetzt gehen wir. Guten Tag!«
Professor Obermeier stellte sich ihr in den Weg.
»Verstehen Sie denn nicht? Sie können jetzt nicht einfach davonlaufen. Es wäre reiner Eigennutz, wenn Sie Vamperl für sich
behielten. Er könnte der ganzen Menschheit zum Segen werden!«
»Eben darum müssen wir gehen. Wir haben zu tun.«
Professor Obermeier wurde immer aufgeregter. Seine Stimme überschlug sich fast.
»Außerdem ist freies Giftsaugen strengstens verboten!«, rief er. »Wo kämen wir denn hin, wenn jeder Gift saugen dürfte, wie
und wo er will? Wissen Sie, wie lange ein Medizinstudium dauert? Und Ihr Vamperl hat nicht einmal die Grundschule besucht,
keine Lehre absolviert, keine Universität von innengesehen! Keine Zeugnisse, kein Diplom. Nichts! Und
Sie
tragen die Verantwortung!«
Frau Lizzi nickte. »Ist mir recht.«
»Aber Sie können sich dem Fortschritt nicht widersetzen!« Professor Obermeier ruderte mit den Armen. »Die Menschheit blickt
auf Sie!«
Frau Lizzi sah nur den Professor Obermeier, der sie anblickte. Er tat ihr schon fast Leid.
»Aber, Herr Professor«, erklärte sie ihm, »mein Vamperl braucht keine Menschheit! Er kommt kaum nach mit dem, was ihm so an
Gift und Galle über den Weg läuft. Erst gestern hat er sich richtig überfressen.«
Hier hakte der Professor sofort ein: »Dann ist er vielleicht krank und muss in seinem eigenen Interesse zu uns kommen! Er
kann bei uns arbeiten und ich werde für ihn sorgen.«
»Das mache ich schon selbst«, beharrte Frau Lizzi. »Schließlich habe ich ihnaufgezogen. Außerdem ist er noch viel zu jung um zu arbeiten. Kinderarbeit ist verboten!«
Professor Obermeier winkte ab. »Das gilt nur für Menschenkinder. Außerdem lässt sich alles regeln. Und bedenken Sie doch –
unser Krankenhaus wird bestimmt weltberühmt!«
»Ist mir egal.«
»Und Sie kommen in die Zeitung. Und ins Fernsehen!«
»Ist mir auch egal.«
Vamperl hob Frau Lizzis Hut ein wenig und wackelte mit einem Flügel. Professor Obermeier griff nach ihm. Vamperl jaulte auf.
»Lassen Sie sofort los!«, schrie Frau Lizzi.
Professor Obermeier ließ los. »Verzeihung!«, sagte er mit einer leichten Verbeugung. »Ich bin völlig durcheinander. So etwas
ist mir noch nie passiert.«
Schweren Herzens fasste Frau Lizzi einen Entschluss.
»Also gut. Wenn es wirklich so wichtig ist, dann kann er zu Ihnen gehen. Aber ich komme mit.«
Professor Obermeier strahlte. Dann aber sagte er: »Es ist nicht vorgesehen, dass Sie mitkommen.«
»Meinetwegen als Putzfrau«, sagte Frau Lizzi.
»Entschuldigen Sie vielmals, aber Sie sind doch viel zu alt um bei uns zu arbeiten.«
Frau Lizzi schüttelte den Kopf. »Wenn er nicht zu jung ist, dann bin ich auch nicht zu alt. Entweder mit mir oder gar nicht.«
Professor Obermeier gab nach.
Er bestand allerdings darauf, dass Vamperl schon in dieser Nacht im Krankenhaus schlafen müsse.
Als Frau Lizzi spätabends heimkam, schien ihr die Wohnung schrecklich leer.
Unter dem Glassturz
Frau Lizzi fuhr am nächsten Morgen mit der ersten Straßenbahn ins Krankenhaus.
Vamperl hockte unter einem Glassturz, der auf einem weißen Tisch in einem weißen Zimmer stand.
Neben dem Tisch gab es einen Stuhl. Auf dem Stuhl saß eine hübsche junge Ärztin. Sie beobachtete Vamperl unentwegt und schrieb
alles, was er tat, genau auf.
Frau Lizzi schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Warum sitzt er unter einer Käseglocke?«
Vamperl hüpfte aufgeregt hin und her und schlug mit seinen kleinen Fäusten gegen die Glocke.
Die junge Ärztin schrieb auch das auf, dann erst antwortete sie freundlich: »Der Herr Professor hat es so
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