Das Vamperl
ebenfalls. Das Essen schmeckte ihr nicht. Sogar der Kaffee schmeckte ihr nicht. Sie musste einen Gürtel
tragen, sonst hätte sie ihren Rock verloren. Sie war nicht nur traurig. Sie fühlte sich auch schuldig.
»Ich hätte nicht nachgeben dürfen«, sagte sie immer wieder. »Ich hätte nicht nachgeben dürfen.«
Auf dem Heimweg sah sie Hannes, Klaus und Karin.
Die drei stupsten Dieter in den Bauch und fragten. »Was bist du?« Dann antworteten sie selbst: »Dumm bist du.«
Frau Lizzi packte Hannes an den Schulternund rüttelte ihn. Hannes sah sie erstaunt an.
»Willst du sofort aufhören?«, fragte Frau Lizzi. »Aber sofort!«
»Ich sag’s meiner Mama!«, jammerte Hannes.
Frau Lizzi schüttelte ihn wieder. »Tu das nur. Und sag ihr auch gleich dazu, warum ich es getan habe.«
»Ist sowieso egal«, sagte Hannes mit finsterem Gesicht.
Frau Lizzi musste an die Ohrfeigen denken. Sie ließ los.
Vamperl, dachte sie. Du müsstest da sein. Was kann ich denn tun? Gar nichts kann ich tun.
Hannes stand vor ihr und stocherte mit den Schuhspitzen im Sand. Sie putzte sich die Nase. Dann lud sie die Kinder in den
Eissalon ein. Alle vier.
Die Kinder wunderten sich.
Frau Lizzi wollte mit ihnen reden. Aber ihre Stimme klang so jämmerlich, dass sie es bleiben ließ.
In dieser Nacht träumte Frau Lizzi von einem riesigen Vampir.
Der riesige Vampir stand vor ihrem Bett und fletschte die Zähne.
Sie wachte auf.
Ihr Kopfkissen war nass.
Dann träumte sie von einer Vampirschar.
Die Vampirschar verfolgte sie.
Die Flügel knatterten wie große Segel im Sturm.
Sie wachte auf.
Ihr Nachthemd war sehr verschwitzt.
Zuletzt träumte sie vom Krankenhaus.
Sie kam in Vamperls Zimmer.
Da stand die Glasglocke.
Unter der Glasglocke war nichts.
Sie wachte auf.
Ihr Herz schlug so hart, dass es wehtat.
Frau Lizzi stand auf.
Die Gedanken in ihrem Kopf schwirrten durcheinander.
Langsam löste sich einer aus dem Getümmel.
Frau Lizzi trank eine Tasse Kamillentee und zwang sich ganz ruhig zu überlegen. Als die Morgendämmerung über die Häuser kroch,
stand ihr Entschluss fest.
Letztes Kapitel
Wieder fuhr Frau Lizzi mit der ersten Straßenbahn ins Krankenhaus. Mit weichen Knien ging sie in Vamperls Zimmer. Er war noch
da.
Aber er war winzig.
So winzig wie an dem Tag, als sie ihn in der Spinnwebe gefunden hatte.
»Vamperl«, flüsterte sie. »Ich bin’s. Bitte erschrick jetzt nicht. Du darfst nicht erschrecken, hörst du?«
Sie packte die Glasglocke und warf sie mit Schwung auf den Boden.
Die Scherben klirrten.
Vamperl rührte sich nicht.
»Du bist doch nicht tot?«, flüsterte Frau Lizzi. »Du darfst nicht tot sein! Bitte!«
Eine Krankenschwester kam gelaufen. »Was ist da passiert?«, fragte sie.
Frau Lizzi gab keine Antwort. Sie stand über Vamperl gebeugt. Sie wusste noch immer nicht, ob er überhaupt noch lebte.
Klingeln schrillten. Summer summten. Lampen flackerten. Die Tür wurde aufgerissen.
Professor Obermeier kam herein, gefolgt von Ärzten und Schwestern und Studenten.
»Was ist passiert?«, fragte Professor Obermeier.
Frau Lizzi richtete sich auf. »Gar nichts ist passiert. Ich habe die Glocke absichtlich runtergeworfen.«
»Absichtlich?!« Der Professor versuchte nicht zu brüllen. »Sie bringen ihn in Gefahr! Und morgen kommen Giftfachleute aus
aller Welt.«
»Ihre Fachleute sind mir egal. Und in Gefahr ist er, seitdem er hier eingesperrt ist! Eingesperrtsein verträgt ernicht. Solange er bei mir war und den Leuten das Gift aus der Galle gesaugt hat, war er putzmunter. Sie haben ihn krank gemacht,
Herr Professor!«
»Sind Sie völlig verrückt? In meinem Krankenhaus wird man nicht krank gemacht!«
Professor Obermeier geriet immer mehr in Wut. »Wir haben ihm die Möglichkeit gegeben, zum Wohle der Menschheit zu wirken!«
Frau Lizzi streichelte mit einem Finger über den reglosen Vamperl. »Vielleicht ist es ohnehin schon zu spät. Ich hätte ihn
früher wegholen müssen. Aber Sie wollten ja unbedingt berühmt werden auf seine Kosten!«
»Das ist eine Beleidigung!«, schrie Professor Obermeier. »Nehmen Sie das sofort zurück!«
Er ging einen Schritt auf Frau Lizzi zu.
In dem Moment bewegte sich der winzige Vampir. Er schoss nicht auf den Professor los. Er torkelte. Aber er stach zu.
Er war so schwach, dass er Mühe mit dem Saugen hatte. Aber schon nach den ersten Schlucken ging es besser.
Ärzte und Schwestern starrten den Professor an.
Frau Lizzi liefen die Tränen
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