Das verborgene Netz
Himmel allmählich von der im Osten heraufziehenden Dämmerung erfasst wurde. Die Positionsleuchten der Maschinen glommen von Minute zu Minute intensiver, ihre Körper zeichneten sich immer weniger deutlich ab. Plötzlich waren sie ganz verschwunden, am dunklen Himmel bewegten sich nur noch zahllose rote, grüne und weiße Lichtpunkte. Sie dachte, dass sie jetzt hineingehen sollte, auf einen der herabsinkenden Körper hatte sie schließlich gewartet. Doch dann blieb ihr Blick wieder an den farbigen Punkten hängen, die sich von einer Seite langsam näherten und sich auf der anderen Seite langsam entfernten, als hätten sie alle Zeit der Welt oder wären sehr, sehr müde. Sie versuchte, den Rhythmus zu ergründen, in dem die bunten Lichter kamen und gingen, und stellte sich dabei vor, dass sie sich irgendwo hoch oben in der Dunkelheit aus allen Richtungen zu einem Strang bündelten, bevor sie heruntersanken. Über einen anderen gemeinsamen Strang stiegen sie wieder auf, um sich erneut in alle Richtungen zu verstreuen und schließlich in der Dunkelheit zu verglimmen.
Irgendwann später stand der Mann vor ihr, den sie halten wollte, wenn er denn warten würde, zu viel Chaos, dachte sie, ertrug ja keiner, nicht einmal sie selbst, das musste berücksichtigt werden, bevor man Entscheidungen für die Zukunft traf – dass da noch etwas zu erledigen war, bevor man die Zukunft angehen konnte.
Ohne ein Wort zu wechseln, sahen sie sich an.
Dann stellte Ben seine Reisetasche ab und setzte sich schweigend neben sie, ließ sie sein, was sie war, kam in ihre Abgründe herunter, ohne zu stören, wie er es vor einem Jahr im bosnischen Štrpci auch getan hatte.
Und wie damals sprangen die Moleküle wild hin und her.
»Ich muss mal wieder für eine Weile mit den Bäumen reden«, sagte sie.
Ben nickte.
»Und dann möchte ich mit dir Urlaub machen.«
Er lächelte, und da wusste sie, dass er die paar Wochen oder Monate warten würde, die sie brauchte, um aufzuräumen, den Schutt endgültig beiseitezuschaffen, der sich in fünfundvierzig Jahren in ihr angehäuft hatte.
»Im Schnee?«, fragte er.
»Auf keinen Fall im Schnee.«
»Gut.«
»Und dann … Na, dann werde ich wohl wieder arbeiten.«
Sie schaute zu den bunten Lichtpunkten hinauf, die sich am Himmel entfernten, fand einen weißen, der genauso aussah wie alle anderen und ihr doch besonders vorkam. Sie blickte ihm nach, bis er nicht mehr zu erkennen war. Sah ein Gesicht vor sich, nahm Abschied.
Dank
Ich danke allen, die mich bei der Arbeit an diesem Roman unterstützt haben, vor allem Kriminalhauptkommissar Karl-Heinz Schmid (Polizeidirektion Freiburg), Kriminalhauptkommissar Roland Braunwarth (Kriminaltechnische Untersuchungsstelle) und Kriminalrat Arno Wöhrle (Leiter des Dezernates Wirtschaftskriminalität), beide Regierungspräsidium Freiburg, Abt. 6 , Landespolizeidirektion, der Ersten Kriminalhauptkommissarin Iris Tappendorf (Leiterin des Kommissariats VB III 1 der Polizeidirektion 2 , Berlin), Bernd Litzenburger von der Solon SE , der Presseabteilung des Solarstrommagazins PHOTON , dem Sicherheitsforum Baden-Württemberg für die SiFo-Studie 2009 / 10 , allen, die namentlich nicht genannt werden wollten, sowie Annina Luzie Schmid für die wertvolle Arbeit am Text.
Die Firmen GoSolar, Soleilfrance und Reuter Unternehmenssicherheit sowie alle Personen in diesem Roman sind fiktiv und keinen realen Vorbildern nachempfunden.
Über Oliver Bottini
Oliver Bottini, in Nürnberg geboren, studierte in München Neuere deutsche Literatur, Italianistik und Markt- und Werbepsychologie. Er erhielt für seine beiden Kriminalromane »Mord im Zeichen des Zen« und »Im Sommer der Mörder« jeweils den Deutschen Krimi Preis. Beide Romane standen monatelang auf der KrimiWelt-Bestenliste und wurden in mehrere Sprachen übersetzt. 2007 wurde er für den Friedrich-Glauser-Preis in der Sparte Roman nominiert. Sein dritter Roman, »Im Auftrag der Väter«, stand 2007 auf der Shortlist des Münchener Tukan-Preises. Oliver Bottini lebt in Berlin.
Im Internet: www.bottini.de
Impressum
Covergestaltung und -abbildung: HildenDesign, München
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2010
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-400886-8
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