Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
können.
»Du brauchst meine Hilfe nicht, oder? Das sind deine Ideen. Wir wollen dich nur daran erinnern, was du denkst.«
»Das kann ich auch gebrauchen. Ich hab meine Uhr verloren! Eine gute Uhr. Eine …«
Skovgaard stieß ihn an. Sie hatte die silberne Rolex in der Hand, hielt sie diskret unter dem Tisch, sodass niemand sie sehen konnte.
Sie öffnete seine Hand und drückte die Uhr hinein.
»Ich hab sie unter meinem Bett gefunden. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie da hingekommen ist. Du?«
Hartmann streifte sich die Rolex übers Handgelenk.
Weber kam mit besorgter Miene vom Fenster zurück, das Telefon in der Hand.
»Die Sekretärin des Oberbürgermeisters ist dran. Bremer will dich sprechen.«
»Wieso?«
»Weiß ich nicht. Aber jetzt sofort.«
Hartmann sah auf die Uhr. »In einer Viertelstunde. Ich tanze nicht nach seiner Pfeife.«
Weber schien verwirrt. »Hast du nicht gesagt, du hast deine Uhr verloren?«
»In einer Viertelstunde«, wiederholte Hartmann.
Flure in alle Richtungen, lang und schimmernd, an den Wänden Fresken von Schlachten und Zeremonien. Majestätische Figuren in voller Rüstung blickten auf die unten entlangeilenden Gestalten herab.
»Sehr glücklich siehst du nicht aus«, sagte Hartmann auf dem Weg zum Büro des Oberbürgermeisters.
»Glücklich? Ich bin dein Wahlkampfleiter. In drei Wochen sind die Wahlen. Du schließt Bündnisse, ohne mir was davon zu sagen. Was erwartest du? Ein munteres Liedchen, einen Freudentanz, einen Scherz?«
»Meinst du, Bremer weiß Bescheid? Über Kirsten Eller?«
»Poul Bremer hört die Flöhe husten. Und außerdem – nimm einmal an, du bist Kirsten Eller und willst einen Deal aushandeln … Probierst du’s dann nur bei einer Seite?«
Vor der Tür zum Rathaussaal blieb Hartmann stehen.
»Lass mich nur machen, Morten. Das krieg ich schon raus.«
Poul Bremer stand in Hemdsärmeln auf dem Podium, neben dem Amtssessel, den er die letzten zwölf Jahre besetzt gehalten hatte. Sprach in jovialem Ton ins Telefon. Hartmann ging nach vorn und griff nach dem Buch, das neben dem Mikro auf dem Tisch lag. Eine Cicero-Biografie. Und hörte zu – was Bremer auch bezweckt hatte.
»Ja, ja. Lass mich ausreden.« Dieses tiefe, volle Lachen, Bremers heiserer Segen für diejenigen, die in seiner Gunst standen. »Du wirst demnächst in der Regierung sitzen. Als Minister. Das prophezeie ich dir, und ich irre mich nie.« Ein Blick auf seinen Besucher. »Sorry … ich muss Schluss machen.«
Bremer setzte sich auf den Platz des Beigeordneten, nicht den des Oberbürgermeisters.
»Hast du das Buch gelesen, Troels?«
»Nein. Sorry.«
»Nimm’s mit. Ein lehrreiches Geschenk. Erinnert uns daran, dass wir nur eins aus der Geschichte lernen, nämlich dass wir nichts aus der Geschichte lernen.« Ton und Auftreten eines freundlichen Lehrers, über die Jahre ausgefeilt. »Cicero war ein guter Mann. Hätte es weit gebracht, wenn er gewartet hätte, bis er dran war.«
»Ist bestimmt keine leichte Lektüre.«
»Komm, setz dich zu mir.« Bremer zeigte auf den Platz neben sich. Den des Oberbürgermeisters. Den Thron. »Probier ihn aus. Er gehört niemandem. Nicht mal mir, du wirst lachen.«
Hartmann ging auf den Scherz ein. Ließ sich auf das harte polierte Holz fallen. Atmete den Mahagonigeruch ein, den Geruch der Macht. Sah sich im Saal um: im Halbkreis die leeren Stühle der Stadträte, davor Flachbildschirme und Abstimmungsknöpfe.
»Es ist nur ein Stuhl, Troels.« Bremer grinste ihn an.
Er sprach und bewegte sich wie ein jüngerer Mann. Das gehörte zum Image.
»Rom mochte Cicero, schätzte seine Ideen. Ideen sind gut für schöne Reden. Viel mehr aber auch nicht. Cäsar war ein Diktator, aber auch ein Gauner, den die Römer kannten und liebten. Cicero war ungeduldig. Penetrant. Ein Emporkömmling. Weißt du, was aus ihm wurde?«
»Er ging zum Fernsehen?«
»Sehr witzig. Sie haben ihn abgeschlachtet. Haben seine Hände und seinen Kopf im Forum Romanum zur Schau gestellt, damit die Leute was zu lachen hatten. Ist manchmal schon ein undankbarer Haufen, dem wir dienen.«
»Du wolltest mich sprechen?«
»Ich hab die Umfragewerte gesehen. Du auch?«
»Ja.«
»Du wirst mal ein guter Oberbürgermeister werden. Du wirst diese Stadt gut regieren.« Bremer strich die Ärmel seines schwarzen Seidensakkos glatt und zog die Manschetten des schicken weißen Hemdes heraus, nahm seine Brille ab, prüfte, ob sie sauber war, und fuhr sich durch das silberne Haar.
Weitere Kostenlose Bücher