Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Kopenhagen seit zwölf Jahren, ein korpulenter, gemütlicher Politiker, jenen Abgeordneten nahestehend, die über die Ausgaben entschieden, gewöhnt an die Meinungsumschwünge seiner trägen Parteisoldaten, wohlvertraut mit dem weit gespannten Netzwerk der Anhänger und Unterstützer, die ihm aufs Maul schauten. Schwarzes Jackett, weißes Hemd, dezente graue Seidenkrawatte, seriöse schwarze Brille, der Typ des freundlichen Lieblingsonkels, des großzügigen Spenders von Geschenken und Gefälligkeiten, des cleveren Verwandten, der alle Geheimnisse kennt, alles weiß.
Dann Troels Hartmann. Der Junge. Der Attraktive. Der Politiker, auf den die Frauen schauten, den sie insgeheim bewunderten. Er trug die Farben der Liberalen. Blauer Anzug, blaues Hemd, offener Kragen. Hartmann, zweiundvierzig, gutaussehend, jungenhafter nordischer Typ. Ein Anflug von Schmerz in den klaren kobaltblauen Augen war dem Objektiv des Fotografen entgangen. Ein guter Mann, sagte das Bild. Eine neue Generation, die die alte mit Macht verdrängte, frische Ideen brachte, Veränderung verhieß. Dank des Wahlsystems schon auf halbem Weg zum Ziel, leitete er mit Energie und Weitblick die Schulverwaltung der Stadt. Schon jetzt Bürgermeister, wenn auch nur für den Bereich Schulen und Hochschulen.
Drei Politiker, im Begriff, gegeneinander um die Krone Kopenhagens zu kämpfen, der Hauptstadt, einer wuchernden Metropole, in der über ein Fünftel von Dänemarks fünfeinhalb Millionen Einwohnern lebte und arbeitete, stritt und kämpfte. Jung und Alt, gebürtige Dänen und Zugewanderte, nicht immer willkommen. Ehrlich und fleißig, faul und korrupt. Eine Stadt wie jede andere.
Eller, die Außenseiterin, deren einzige Chance darin bestand, sich möglichst teuer zu verkaufen. Hartmann, jung, idealistisch. Naiv, sagten seine Feinde, tapfer darauf hoffend, Poul Bremer, den Granden der Stadtpolitik, von dem hohen Ross zu stoßen, das der alte Mann sein Eigen nannte.
In dem kalten Novembernachmittag strahlten ihre Gesichter in die Kamera, für die Presse, für die Leute auf der Straße. Hinter den rauchgeschwärzten verzierten Fenstern des roten Backsteinschlosses namens Rådhus aber, in den Galeriekorridoren und den zellenartigen Räumen, in denen Politiker flüsterten und Ränke schmiedeten, sah das Leben anders aus. Hinter dem starren, künstlichen Lächeln der drei tobte ein Krieg.
Schimmerndes Holz. Hohe, schmale Bleiglasfenster. Ledermöbel. Gold, Mosaiken und Gemälde. Der Geruch von poliertem Mahagoni. Plakate von Hartmann standen überall, lehnten an den Wänden, warteten darauf, in der Stadt verteilt zu werden. In einem Holzrahmen auf dem Schreibtisch ein Bild seiner Frau in ihrem Krankenhausbett, ruhig, tapfer, schön, vier Wochen vor ihrem Tod. Daneben ein Foto von John F. Kennedy und einer rehäugigen Jackie im Weißen Haus. Eine Band spielte im Hintergrund, blickte bewundernd auf die beiden. Jackie lächelnd, in einem seidenen Abendkleid. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Das Weiße Haus, wenige Tage vor Dallas.
In seinem Privatbüro betrachtete Troels Hartmann die Fotos und sah dann auf den Tischkalender. Montagmorgen. Drei der längsten Wochen seines politischen Lebens lagen vor ihm. Das erste einer endlosen Folge von Meetings. Seine beiden engsten Berater saßen mit ihren Laptops vor sich auf der anderen Seite des Schreibtischs und gingen den Tagesplan durch. Morten Weber, Wahlkampfmanager, Freund seit Studienzeiten. Engagiert, ruhig, einzelgängerisch, konzentriert. Vierundvierzig, widerspenstige Locken, beginnende Glatze, ein freundliches, angespanntes Gesicht, umherschweifende Augen hinter einer billigen Goldrandbrille. Wusste nie, wie er aussah, und kümmerte sich auch nicht darum. Schien die ganze Woche nicht aus dem zerknitterten Jackett, das nicht zur Hose passte, herausgekommen zu sein. Am glücklichsten, wenn er sich in Akten vertiefen oder in rauchgeschwängerten Räumen Kompromisse aushandeln konnte. Manchmal rollte er mit seinem Bürostuhl in eine ruhige Ecke, holte seinen Insulinpen hervor, zog sich das Hemd aus dem Gürtel und verpasste sich eine Spritze in seinen wabbeligen weißen Bauch. Dann rollte er an den Tisch zurück und klinkte sich wieder in die Diskussion ein, ohne auch nur eine Sekunde lang den Faden verloren zu haben.
Rie Skovgaard, die politische Beraterin, tat dann so, als bemerkte sie es nicht.
Hartmanns Gedanken schweiften von Webers Aufzählung der Termine ab. Einen Moment lang fühlte er sich aus der Welt
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