Das verlorene Ich
seiner noch harrte.
Fast fühlte Vautier sich schlimmer als in jener Nacht, da Jerome ihm genommen worden war. Seither hatte sein ganzes Trachten der Rache am Mörder seines Sohnes gegolten. Nun, da Jeromes Tod gesühnt war, waren Giordan Vautier nur Erinnerungen geblieben.
Erinnerungen, aus denen er vertraute Bitternis zog, die ihm in den Jahren zum steten Begleiter und zum Motor seines Handelns geworden war. Vielleicht auch nur deshalb, weil er sich damit über seine eigene Schuld hatte hinwegtäuschen wollen. Denn letztlich war er selbst es gewesen, der Jerome in den Tod geschickt hatte - als er ihm aufgetragen hatte, Hector Landers aufzusuchen ...
Was sich dort im einzelnen zugetragen hatte, das hatte Giordan Vautier nie erfahren. Möglicherweise, so meinte Vautier, hatte Jero-me unbeabsichtigt etwas über Hector Landers in Erfahrung gebracht, vielleicht hatte er ihn bei irgendeinem geheimen Tun überrascht, woraufhin dieser ihn zum Schweigen brachte.
Jeromes Leichnam hatte Landers dann kurzerhand irgendwo abgelegt, und die Umstände hatte er so arrangiert, daß es nach einem Raubmord aussah - wenn auch mit höchst ungewöhnlicher Todesursache: Das Opfer war verblutet, und doch hatte man nirgends auch nur einen Tropfen seines Blutes gefunden .
Giordan Vautier entsann sich auch noch genau der polizeilichen Ermittlungen in diesem Fall. Vor allem daran, daß sie unter höchst merkwürdigen Umständen eingestellt wurden. Bisweilen hatte sich ihm der Gedanke aufgedrängt, daß die Polizei sehr wohl etwas über diese ungewöhnliche Todesursache gewußt hatte, aber von wem auch immer angehalten worden war, der Sache nicht auf den Grund zu gehen. Und dagegen hatte nicht einmal Giordan Vautier mit all seiner Macht etwas unternehmen können.
Statt dessen hatte er eigene Nachforschungen angestellt. In aller Welt hatte er nach Hector Landers fahnden lassen - und dabei feststellen müssen, daß dieser Mann ein Phantom zu sein schien. Denn jede Spur, der seine Leute nachgegangen waren, hatte ins Nichts geführt; irgendwo waren die Jäger stets an einem Punkt angelangt, der nur eines verriet: daß es einen Mann namens Hector Landers schlicht nicht gab! Und jene Leute, die nicht mit Mißerfolgsmeldungen von der Jagd nach Landers zurückgekehrt waren - sie waren überhaupt nicht mehr zurückgekommen und auch anderswo nicht mehr aufgetaucht. Vautier war sicher, daß Landers sie hatte verschwinden lassen - so spurlos, daß es ihm fast schon Respekt abgenötigt hatte .
Ein Geräusch riß den alten Mann zurück ins Hier und Jetzt.
»Was ...?«
Giordan Vautier ruckte herum, als er das akustische Signal vernahm, welches ihm verriet, daß sein Privataufzug benutzt wurde. Die Kabine wurde nach unten gerufen, dann kam sie wieder herauf.
Vielleicht Bruneau, dachte er. Wer auch sonst? Niemand außer ihm und Bruneau kannte die Codierung. Nun - Jerome hatte sie gekannt ...
Vautier lächelte bitter, während sein Blick wieder aus dem Fenster fiel, durch die Nacht irrte, auf der Suche nach dem gewundenen, schwarzglitzernden Band der Seine.
Ein Traum war dort in Erfüllung gegangen. Ob damit auch sein Alptraum endete, bezweifelte Giordan Vautier seit dem Augenblick, da Hector Landers vor seinen Augen im Fluß versunken war.
Mit leisem Zischen öffnete sich hinter ihm die Lifttür.
»Bruneau, was gibt es noch? Ich dachte, Sie wären froh, endlich Ihre Ruhe zu ha-«
Er verstummte mitten im Satz.
»Vater.«
Lahm wie ein uralter Greis drehte Giordan Vautier sich um. Der Mann, der ihn angesprochen hatte, war ein Fremder. Dem ersten Anschein nach. Erst als Vautiers Blick hinter die Maske drang, die die Jahre dem anderen aufgesetzt hatten, erkannte er ihn - das Unmögliche!
»Jerome?« stöhnte er entsetzt auf.
Und dann traf ihn der zweite Schlag; kein wirklicher Hieb, aber etwas, das ihn ums Haar von den Füßen gerissen hätte.
Eine zweite Gestalt trat aus dem Fahrstuhl.
»Landers?«
Der nickte. »Ich sagte doch, du wirst es bereuen. Ich stehe zu mei-nem Wort.«
»Aber ... was ... wie ...«, stammelte Giordan Vautier und dann wirre Worte, die erst verstummten, als ihn die totenkalte Hand seines Sohnes berührte.
* Hector Landers sah sich um, während Jerome Vautier auf seinen völlig verstörten Vater zuging. Die Situation gefiel ihm. Sie ließ ihn sich seiner eigenen Macht bewußt werden.
Vautiers Büro war riesig in seinen Ausmaßen, die Einrichtung sichtlich erlesen. In einem Regal reihten sich allerlei ungewöhnliche
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