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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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gerecht und gut zu leben bestrebt war. Und er
vergaß nie, Gott zu danken und die Menschen zu lieben.
    Zur letzten Vollendung seines Glückes aber, zur Bestätigung
seines Daseins, wie er es begriff, wurde ihm nach fünfzehnjähriger Ehe
die Geburt einer Tochter, die zu einem bezaubernden Kinde aufwuchs. Als
es vier Jahre alt war, war es der Liebling aller, die es nur einmal
erblickten. Es war ein immer heiteres, strahlendes Kind; es trug die
Züge des Vaters, verklärt von der sieghaften Lebensseligkeit der
Mutter, es blickte aus des Vaters blauen Augen, doch sie waren weit
geöffnet wie die der Mutter, in rührendem Vertrauen zur Welt, es hatte
des Vaters reine Stirn, die ergreifend sein frisches, rundes
Kindergesichtchen krönte, und es trug des Vaters lichte Haare, die in
weichen, flaumigen Locken sein Köpfchen umschwebten. Seine Gestalt war
zart, es hatte die tänzerische, freudige Anmut der Mutter in den
Bewegungen und ihr leises, strömendes Lachen, weich wie Taubenlaut,
unter dem seine kleine Kehle tanzte. Es hieß Anna.
    Christian liebte das Kind mit einer noch nie gefühlten, tiefer
Innigkeit. Er war ergriffen von seinem Anblick, von seinen Zügen, die
ihm selbst so glichen, von seinen Augen, seinen Bewegungen und seinem
Lachen, von denen jedes der Mutter Wesen widerspiegelte und ihm das
Geheimnis ihrer tiefsten Vereinigung zu offenbaren schien. In dem Kind
liebte er zum ersten Male sich selbst, in ihm liebte er sich, die
Mutter und das Kind zugleich.
    Auch die Frau war seit der Geburt des Kindes verändert. Annas Bettchen
stand zu Füßen des Ehebettes an Stelle der Truhe. Nie mehr umarmte sie
den Mann in der Dunkelheit mit ihrem lockenden Lachen, mit ihren
fordernden Armen, und morgens beim Erwachen, im Anblick des Kindes,
errötete sie und senkte den weit offenen Blick ihrer Augen, In den
Nächten erfüllte sie beide, die doch die Liebe der Jugend füreinander
noch fühlten, eine neue, keusche Zärtlichkeit, die sie mit sanftem
Zwang auseinanderhielt, wie die vergangene sie zusammengeführt hatte.
Hatten sie nebeneinander geruht, vereinigt nur in ihren Herzen, hob die
Frau am Morgen das Kind aus dem Bett und reichte es dem Mann. Sie
reichte es ihm, als schenke sie so sich ihm selbst, aber das schönste,
ihr selbst verborgene Teil ihres Wesens, als schenke sie ihm ihre
Jugend, jünger als die, die er gekannt, ihre Schönheit, schöner als
die, die ihn bezaubert hatte, und ein Glück, herrlicher als das tiefste
Glück, das sie ihm je bereitet. Und er nahm es entgegen und erwartete
des Kindes unschuldiges Lächeln, mit dem es aufwachte. Er fühlte sein
Glück und nie mehr die Furcht und Mahnung nächtlicher Dunkelheit.
    Um des Kindes Liebe, sein Zutrauen, ja nur sein Lächeln,
bewarben sich alle.
    Emma sah mit eifersüchtiger Trauer, daß es an der Brust der
Mutter genährt wurde, und daß es im Zimmer der Eltern schlief und sie
es nicht, wie die anderen Kinder früher, Tag und Nacht bewachen und
pflegen konnte. Sie strickte wenigstens seine Strümpfchen und nähte
seine Kleider, sie entzückte sich an seinem Anblick.
    Die Brüder, im wildesten Knabenalter stehend, liebkosten es scheu und
sahen mit hilfloser Zärtlichkeit zu ihm herab.
    Vor der Wiege des neugeborenen Kindes hatte auch Fritz
gestanden. Er war dreizehn Jahre alt, groß und stark, seine Glieder mit
einer zarten Fülle von Fleisch schön überformt, das volle, weiße
Gesicht durchleuchtet von dem Glanz seiner großen blauen Augen, über
der runden Stirne das üppige lichte Haar, rosig gefärbt Mund, Kinn und
Wangen. Er beugte sich lächelnd zu dem friedlich ruhenden Kinde herab.
Er hob langsam, von einem sonderbaren Begehren gezogen, seine volle,
kräftige Hand und legte sie auf das weiche, winzige Köpfchen des Kindes
nieder. Er fühlte den kleinen, noch knochenlosen, von feuchter Wärme
umdunsteten Schädel in seiner Hand, er fühlte feines, zartes Pochen von
schwachen Pulsen, und es ergriff ihn etwas Furchtbares. Von den weich
und warm gegen das Innere seiner Hand anpochenden Schlägen, von dem
lauen Strömen der kleinen Pulse angetrieben, fühlte er plötzlich sein
eigenes Blut aufjagen, seine eigenen Pulse aufhämmern und sein Herz in
Stößen schlagend die Kehle ihm zusammenpressen; ein Zittern, wohlig und
schrecklich zugleich, schüttelte seinen Körper, schwarze Röte
überflutete sein Gesicht, der Mund fiel auseinander, zischend entfuhr
ihm lautloses Lachen. In würgendem

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