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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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Kehle umwürgt, flog er in hastigen Sätzen
dahin, gepeitscht durch die Stöße seines Herzens, Schweiß auf seiner
heiß geröteten Stirn, mit weit geöffnetem Mund, der zischend aus der
engen Kehle den emporgekeuchten Atem ausstieß. Aber er erreichte das
Haus noch, solange der Vogel lebte.
    Er eilte in seine Kammer und ließ den Vogel aus seinen Händen
in eine Mütze gleiten, hielt die Innenflächen seiner Hände aufrecht und
ausgebreitet in die Luft, bis in der Kühlung seines Blutes aller
Aufruhr in ihm verging. Er begann dann, das Tierchen zu füttern, und es
gelang ihm auch, es mit vieler Mühe großzuziehen und es zu zähmen. Es
erkannte seinen Pfiff, mit dem er es rief, flog herbei und setzte sich
auf seine Schulter und fraß aus seiner Hand. Er schnitzte ihm einen
schönen geräumigen Käfig. Nur einen Namen fand er nicht für das Tier,
obwohl er oft in seiner Kammer in einfachen, langgedehnten Lauten
seiner weichen Stimme mit ihm sprach.
    Im Frühjahr, das nun folgte, flog ihm der Vogel, wenn sein
Käfig geöffnet war, aus dem Fenster seiner Kammer bis auf den Hof
entgegen. Da erblickte ihn zum erstenmal die kleine Anna und streckte
in kindlicher Freude und Verlangen ihre Ärmchen nach ihm aus. Sofort
holte Fritz den Käfig, lockte den Vogel hinein und brachte ihn dem
Kinde als Geschenk. Die Frau wollte ihm zur Belohnung ein Geldstück
schenken, doch er nahm es nicht. Das Kind aber war so erfreut über den
Vogel, daß es ihn den ganzen Tag, neben ihm sitzend, betrachtete, mit
kindlicher Sprache zu ihm redete und sein glückliches Lachen ihm
entgegensprudelte. Am Abend, als es schlafen sollte, ruhte es nicht
eher, als bis der Käfig auf einem Stuhl neben sein Bettchen gestellt
wurde. Fritz, der wie früher noch die Kleider und Schuhe der
Herrschaftskinder sammelte, um sie zu reinigen, kam an der offenen Tür
des Schlafzimmers vorbei. Er sah das schlafende Kind und neben ihm den
Käfig mit dem schlafenden Vogel auf der Stange. Er trat ein, ging leise
zum Bettchen des Kindes und sah es in der noch lichten Dämmerung des
Frühlingsabends an. Er hob die freie linke Hand und senkte sie dem
Köpfchen des Kindes entgegen, den zarten Flaum seiner duftigen Locken
fühlte er schon warm ihn berühren, feines, stechendes Klopfen regte
sich schon im Innern seiner Hand, da schreckte ihn das leise Flattern
der schlafesschweren Flügel des kleinen Vogels auf. Er riß die Hand vom
Haupt des Kindes zurück, zitternd und gierig öffnete er mit dieser Hand
die kleine Tür des Käfigs, ergriff den Vogel, aber noch ehe ihre beiden
Herzen wie damals im Wald in wilden Schlägen sich ineinander verfangen
konnten, drückte er zu, den glitzernd geweiteten Blick auf das
schlafende Kind gerichtet. Er hörte das leise Krachen der zarten
Knochen unter dem weichen Federkleid, und er fühlte heiße Feuchtigkeit
zwischen seine Finger sich drängen, sammetweich schmiegte sich das Blut
des Vogels in seine Hand, alles besänftigend. Sein Herz war ruhig. Weiß
und engelgleich war sein Gesicht. Um ihn zu verbergen, ließ er den
toten Vogel in den Schuh der kleinen Anna gleiten und ging so zur
Treppe hinab, durch die Küche an seiner Mutter vorbei in den Garten.
Unter dem Stamm eines Holunderbaumes grub er mit seinen Händen eine
kleine Grube, ließ den Vogel, ohne ihn noch einmal zu berühren, ohne
sich niederzubeugen, von der Höhe seiner Gestalt herab, aus dem Schuh
in die Höhlung niederfallen, deckte Erde über ihn und stampfte sie mit
den Füßen fest. Der Geruch der Erde, feucht und stark, das Erfühlen
ihrer Krume, kühl, weich und ohne klopfendes Leben in seinen Händen,
und die kleine, alles verbergende Ebene der Grube stimmte ihn leicht
und fröhlich, leise sang er bei seiner Arbeit mit seiner sanften Stimme.
    Am nächsten Morgen glaubten alle, der Vogel sei durch die
Unachtsamkeit des Kindes aus dem Käfig gekommen und entflogen. Das Kind
weinte bitterlich um den Verlust und fragte Fritz täglich, ob der Vogel
nicht wieder geflogen komme. Fritz schüttelte stumm den Kopf und sah es
an. Er ging aber und sägte von einem wilden Kirschbaum einen Ast ab und
schnitzte unter vieler Mühe und Sorgfalt dem Kinde eine Puppe, mit
einem schön ausgeführten Gesicht und wohlgestalteten Gliedern. Er
erwies sich als sehr geschickt für alle diese Dinge und gab seiner
Mutter auch genau an, wie sie die Kleider der Puppe nähen sollte. Das
Kind liebte die Puppe nun ebenso, wie es den Vogel

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