Das verlorene Kind
geliebt hatte, und
ließ sie nicht aus seinen kleinen Armen.
Zum Trost auch für den fortgeflogenen Vogel schenkte der Vater
ihm und den Geschwistern ein Ponygespann, und nun fuhr Fritz
unermüdlich die kleine Anna spazieren, ließ sie auf den Rücken der
kleinen Pferde reiten, sie sorgsam und geschickt, wie eine Frau,
haltend. Er lief geduldig nebenher, so lange das Lachen und Jauchzen
des Kindes nur anhielt. Er ging nie mehr zum Teich, und durch den Wald
nur bei wichtigen Wegen, er hielt dann den Blick fest vorwärts
gerichtet und seine Hände in den Taschen vergraben. Hörte er das zarte
Rufen der Brut in den Nestern, pfiff er laut vor sich hin, um es zu
übertönen. Im Herbst grub er gern in dem Garten, warf die schwarze Erde
auf und wendete sie. Er sammelte welke Blätter, um Lauberde zu
gewinnen, vermischte sie mit Erdkrumen, häufte und wendete sie fleißig
im Laufe des Winters, und es bereitete ihm eine tiefe, beruhigende
Freude, zu beobachten, wie langsam das Laub zerfiel und bis zum
Frühjahr in feine weiche Erde, der andern völlig gleich, sich
verwandelt hatte. Doch wußte er nie, warum er alles so tat und so
fühlte, und gab dem keinerlei Namen. Die nächsten Jahre vergingen auch
für ihn noch gut.
Es kam der Sommer mit dem vierten Geburtstag der kleinen
Anna. Im Frühjahr war das Kind leicht erkrankt, hatte Fieber, und auf
seiner kleinen, linken Brust, dicht über dem Herzen, entstand ein
großes, böses Geschwür. Die Mutter badete das Kind, legte heiße
Umschläge und Salben auf die Wunde, und bald heilte sie auch, eine
weiße, kreisrunde Narbe zurücklassend. In der Freude über die Genesung
überkam die Frau plötzlich das Verlangen nach einem Bild des Kindes,
und sie beschloß, mit ihm zur Stadt zu fahren, um es photographieren zu
lassen. Heimlich, zur Überraschung des Mannes sollte es geschehen. Das
Kind trug ein weißes Kleidchen mit kurzen, wie kleine Flügel
aufgestellten Ärmeln, Arme und Füße waren entblößt. Doch es weigerte
sich, entgegen seinem sonst so großen Gehorsam, hartnäckig, vor den
Apparat zu treten und brach in schmerzliches Weinen aus, das seinem
Kinderweinen nicht mehr glich. Dieses Weinen steigerte sich zu
entsetzensvollen Schreien, als die Mutter, um es zu beruhigen, ihm
erklärte, daß aus diesem schwarzen Apparat ein Bild hervorkomme, genau
wie es selbst, mit Augen, Haaren, Füßen und Händen, und den Kleidern,
die es trüge. Die kleine Anna schlug in Verzweiflung die Händchen vor
das Gesicht und wich bis in die äußerste Ecke des Raumes zurück. Um sie
doch noch zu gewinnen, erzählte ihr die Mutter, daß das Bild dem lieben
Vater zum Geschenk dienen sollte. Und nun gestand das Kind unter
Schluchzen in seiner kindlichen Sprache die tiefe und sonderbare Angst
seines Herzens, daß es nämlich glaubte, wenn ein Bild von ihm
entstünde, genau wie es selbst, mit Augen, Haaren, Händen und Füßen,
und den Kleidern, die es trüge, es selbst dann vergangen wäre in dem
Bild und nicht mehr da sei. Und es wolle lieber dableiben, im Leben,
bei Vater und Mutter, bei der Puppe und den Pferdchen und bei allen
Tieren, die es liebte und die es der Mutter alle einzeln aufzählte. Es
bat und flehte rührend, kein Bild aus ihm zu machen, und die Mutter
brauchte lange, um ihm zuzureden und es zu beruhigen. Langsam gewann
nur das Kind seine Heiterkeit zurück, lachte wieder und begann dann,
als es nochmals vor den Apparat geführt wurde, aus eigener Eingebung
eine sonderbare, wenn auch bezaubernde Stellung einzunehmen, die es
sehr still und lange festhielt. Es stand leichtfüßig da, als ob die
nackten Füßchen den Boden kaum berührten, das linke Ärmchen hatte es
hinter sein Köpfchen gehoben, das sich leicht zur Schulter
niederneigte, das rechte Händchen aber hielt es erhoben bis zur
Schulter, und da streckte es weisend seinen kleinen Zeigefinger empor.
Ein süßes, zartes Lächeln lag um den Mund und auf den kleinen Zügen des
Gesichts, während die großen Augen noch von Tränen, Furcht und
Traurigkeit verschleiert waren. Das Bild, das so entstand, ergriff
später alle, die es sahen, auf besondere Weise.
Vier Wochen später, am dreiundzwanzigsten Juni, dem Tage vor
Johannis, war der vierte Geburtstag des Kindes.
Es war die schöne, festliche Zeit des Sommers. Die schwere
Feldarbeit hatte noch nicht begonnen. Das Getreide auf den Feldern,
kindeshoch und reich angesetzt im Korn, stand noch im Grün. Die Bäume
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