Das Vermaechtnis des Caravaggio
hinaufführte, die sie bewohnten. Nerina folgte ihm durch wabernde
Hitze und Sonnenglast. Den Pater ließen sie einfach stehen, und als Nerina sich
nach einiger Zeit umdrehte, sah sie Ochse und Karren gerade das Stadttor passieren.
Warum interessierten den Pater die Bilder
mehr als der Bruder? Hatte Michele womöglich in den wenigen Wochen, die sie im
Streit gelegen hatten, neu gemalt und dem Bruder versprochen? Die Antwort wusste
nur er selbst.
Es gab ihr einen Stich in den Bauch,
als sie Michele leblos und so hilflos auf Enricos Schultern liegen sah.
Micheles Kopf vor ihr pendelte wie ein defektes Uhrperpendikel hin und her, und
Nerina befürchtete bereits, dass es ihnen nicht mehr gelingen könnte, die
Unruhe in Gang zu setzen.
13.
Nerina fühlte das Unheil, das der
Pater zu ihnen in die Hütte trug. Er hatte eben die Strohmatte zurückgeschlagen
und verdunkelte den Türeingang. Seine Tonsur wurde von hinten beschienen und
leuchtete. Sofort füllte eine drückende Atmosphäre den Raum. Pater Leonardus
verharrte stumm mit ineinander verschränkten Armen. Langsam erhob sich Nerina
von ihrem Stuhl, den sie neben Micheles Lager gestellt hatte.
„Si? Che c’è? Was gibt’s?“
Sie fröstelte trotz der brütenden
Hitze. Die vom Meer heraufziehende Brise brachte den Geruch brackigen Wassers
und den von Fisch mit, vermischt mit dem Fieberatem der Festlandssümpfe. Das Betttuch,
mit dem sie Micheles nackten, verschwitzten Körper bedeckt hatte, wurde an den
Beinen zurückgeweht. Sie fasste Micheles Hand fester und räusperte sich, weil
der Pater stand, auf irgendetwas wartete und ihr nicht antwortete. Nerinas
Stimme klang brüchig, als sie noch einmal ansetzte.
„Si? Che dicono? Was wollt Ihr?“
Micheles Hand glühte in der ihren.
Seine Zähne klapperten plötzlich, und Nerina wandte sich ihm zu und ließ den
Pater stehen. Sie nahm ein Tuch und säuberte Micheles Stirn vom Schweiß. Dann
zog sie ihm das Laken wieder über die Beine. Michele schlief, und Nerina
hoffte, dass es ihm gut tat. Seine Hautfarbe machte ihr Sorgen. Fahl war sie in
den letzten Tagen geworden, und die Haut hing über den Gesichtsknochen, als
wäre sie aus Papier und nur lose darübergelegt worden. Sie ließ seine Hand
nicht los, die fiebrig in der ihren brannte. Sein Leben hatte etwas von den
Stunden nach Sonnenuntergang angenommen, in denen das Licht des Himmels matt
und bräunlich wird, bis es schließlich ganz erlischt.
Plötzlich fiel die Strohmatte mit
einem raschelnden Geräusch zurück. Nerina wandte sich wieder um. Ihr Haar fiel
ihr übers Gesicht, und sie strich sich die widerspenstigen schwarzen Locken aus
den Augen. Pater Leonardus hatte den Raum betreten und ging auf Micheles Lager
zu. Nerina ließ Micheles Hand los und trat zwischen ihn und den Pater.
„Seht Ihr nicht, dass er um den Tod
krank ist? Er empfängt keine Besucher!“
In dem rundlichen Gesicht versuchte
Nerina eine Regung auszumachen, aber sie konnte nichts erkennen. Sie hörte nur
seinen Atem, der schnell ging, als wäre Pater Leonardus im Eilschritt zu ihrer
Hütte hochgestiegen. Das Gesicht blieb starr wie eine Maske. Dafür hasste sie
ihn.
„Er malt nicht mehr. Er ist krank,
schwer krank, versteht Ihr?“
Die einzige Reaktion, die der Pater
zeigte, war ein weiterer Schritt nach vorne, aber Nerina hielt abwehrend die
Arme ausgestreckt, um ihn davon abzuhalten.
„Lasciatelo! Lass ihn!“, flüsterte
Michele plötzlich. „Er soll näherkommen.“
Er redete mit geschlossenen Augen
und bewegte dabei kaum die Lippen.
„Jetzt habt Ihr ihn geweckt!“, zischte
Nerina spitz. Missmutig gab sie den Weg an Micheles Bett frei. „Aber nur einige
Augenblicke. Er ist zu schwach für einen längeren Disput.“
In ihrem Bauch krampfte sich etwas
zusammen, als wollte sich ihr ungutes Gefühl in Schmerz verwandeln, und selbst
das Kind in ihr wehrte sich gegen die Anwesenheit des Paters, nachdem er neben
Micheles Bett stand und sich leicht über ihn beugte.
Michele begann zu husten, ein
trockenes, tief in den Lungen hängendes Bellen. Nerina sah, dass er sogar zu
schwach war, um sich auf die Seite zu drehen. Er rang verzweifelt nach Luft.
Sofort bildeten sich Schweißtropfen auf seiner Stirn. Sie wollte den Lappen
greifen und Michele abtupfen, aber Pater Leonardus war schneller. Er beugte
sich ganz über Michele, drehte ihn mit einem geübten Griff auf die Seite, nahm
das Tuch und tupfte ihm die Stirn trocken.
„Michele!“, flüsterte der Mönch.
Nerina fiel
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