Das Vermaechtnis des Caravaggio
seine Hand suchend nach ihr ausstreckte. Sie
griff danach. Wieder brannte sie in der ihren. Michele bewegte die Lippen und
flüsterte so leise, dass Nerina sich zu ihm herabbeugen musste.
„Ich sehe ihn in der Hölle wieder,
Nerina. Ganz bestimmt. Er weiß es.“
„Ruh dich aus, Michele.“
Langsam schüttelte er den Kopf. Sie
sah, dass ihm diese Bewegung eine ungeheure Anstrengung kostete und den Schweiß
auf die Stirn trieb.
„Dazu habe ich noch Zeit.“
Sein Atem ging kurz und schwer, und
Nerina übermannte das Gefühl, etwas in ihr sterbe mit ihm ab. Mit einem
trockenen Tuch tupfte sie ihm die Stirn ab und die geschlossenen Augenlider.
„Der Herzog von Modena“, flüsterte
er und versuchte ein Lachen, das in einen flachen Husten überging.
„Was ist mit ihm, Michele?“
„Sein Bild. Er wird sein Bild nie
bekommen. Obwohl er ...“
Beinahe ärgerlich schnitt Nerina
ihm das Wort ab, obwohl ihr Tränen in die Augen stiegen.
„... vergiss den Vorschuss. Dem
Herzog wird es nicht wehtun.“
Wieder schwieg Michele, nur das
Rasseln seiner Lungen füllte den Raum.
„Man soll am Sterbebett mit der
Wahrheit abschließen, keine Lügen mehr erzählen. Was hülfen sie auch?“ Schleppend
und mit großen Unterbrechungen redete er weiter. Er atmete dabei flach und
stoßweise. Jeder Lungenzug rasselte, und tief in seinem Brustkorb vernahm
Nerina ein Gurgeln, als würde Luft in ein Wassergefäß geblasen.
Nerina schluckte und versuchte die
Tränen zurückzuhalten, die ihr wie von selbst über die Wangen liefen.
„Du lügst doch nicht. Niemand wird
dir ...“
Aber Michele schüttelte langsam den
Kopf. „Vielleicht bin ich deshalb verflucht.“ Gequält lächelte er und sah
Nerina für einen Augenblick mit einem Blick an, der ihr durch und durch ging.
„Du bist begnadet, Michele. Niemand
malt so wie du!“
Er schloss die Augen, und für zwei Züge
setzte sein Atem aus. In Nerina verbreitete sich Panik. Sterben. Nein, er
durfte nicht sterben, nicht jetzt.
Plötzlich schnappte Micheles Mund
nach Luft, heftig und gierig. Sein Wille holte das Leben in die Lungen zurück
und ließ es sich ausbreiten. Gleichzeitig schlug er die Augen auf. Auf seinen
spröden Lippen bildete sich klebriger Schaum.
„Ich war im Recht, Nerina. Ich
glaubte, das Schwein Di Russo hätte Caterina gewaltsam geschwängert. Oh, das
passiert natürlich. Aber er wollte nicht heiraten, wollte keine Bürgerliche zur
Frau. Caterina sei nicht standesgemäß. Nicht standesgemäß! Und er leugnete. Das
Schwein.“
Nerina fühlte, wie Micheles innere
Erregung seinen Atem weiter verkürzte, wie er sich jedes Wort abpresste. Aber
sie wollte seine Beichte nicht unterbrechen, sondern senkte nur ihr Ohr tiefer
zu Michele herab, damit dieser leiser sprechen konnte. Seine dunklen Augen
blickten dankbar. Sie schwammen in einem gelben See, wo vorher Augenweiß
vorgeherrscht hatte. Selbst die Pupille sah unrein und alt aus, wie Pergament,
das brüchig geworden war.
„Sie trug das Kind aus. Ein
Mädchen, ein wirklich hübsches Mädchen. Als unsere Mutter starb, habe ich
Caterina dazu gezwungen ...“ ein Husten unterbrach sein Geständnis. Nerina fasste
ihn unter die Schulter und hob ihn etwas hoch. Wie leicht er sich anfühlte, als
schwebe er bereits wie seine Putten und Engel. Mühsam rang er nach Atem. „...
sie gezwungen, das Kind Fahrenden mitzugeben. Niemand, niemand hat es je
wiedergesehen. Nur ein kleines silbernes Amulett habe ich ihr mitgegeben. Sie
sollte es erhalten, sobald sie zur Frau herangereift wäre. Caterina hat mir niemals
verziehen, sie hat mir niemals ...“
Als wäre ihr ein Skorpion in den
Rock gekrochen, fuhr Nerina auf und griff nach dem Amulett, das an ihrem Hals
hing. Erhalten hatte sie es von ihrer Ziehmutter, nach der ersten
Monatsblutung. Das konnte kein Zufall sein. Was Michele hier in einem Satz
sagte, veränderte alles. Betroffen sah sie auf ihn herab. Schmal wie ein
Totenkopf sein Schädel, der ganze Körper ausgezehrt und zittrig, die Lungen ein
einziges Gerassel.
Hatte er sie deshalb ...? Sie wagte
nicht, den letzten Gedanken zu denken.
Michele nahm es ihr ab. Mit festem
Griff umfasste er ihr Handgelenk und zerrte sie zu sich herab.
„Du siehst ihr so ähnlich ... du
bist jetzt so alt, wie sie sein müsste. Deshalb hat dich der Johanniter nicht verschont
... aber er wusste nicht ... kannte nicht ... die Wahrheit!“
„Was wusste er nicht? Welche
Wahrheit? Michele!“
Sein Blick wanderte an ihr vorbei
und
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