Das Vermaechtnis des Caravaggio
die zu hohe Stimme auf,
mit der er sprach.
Michele lachte flach. Sein Atem
rasselte.
„Ja?“ Eine Pause entstand, in der
Nerina nur die Brise hörte, die um diese Tageszeit vom Meer herauf wehte und
schwer war vom fiebrigen Dunst des Ufersaums. „Ich habe Euch erwartet!“
„Mich?“, entgegnete der Mönch.
„Natürlich. Wundert es Euch? Ich
weiß längst alles.“
Nerina umrundete den Tisch, um
Michele von der anderen Seite beizustehen, vor allem aber, um den Pater im Auge
zu behalten.
„Verschwindet!“, bellte der und
wollte sie mit einer Handbewegung aus der Hütte wischen.
„Nerina? Bleib!“ Michele winkte sie
mit einer Hand heran. „Halt meine Hand. Es tut gut.“
Nerina fühlte, dass der Pater sie
am liebsten mit Gewalt entfernt hätte. Seine starre Haltung, seine Stummheit
warnten sie immerzu. In seiner Nähe fühlte sie eine Beklemmung unterhalb der
Brust. Einzig die Nähe Enricos, der außerhalb der Hütte saß, beruhigte sie. Ein
Ruf würde genügen.
Sie setzte sich wieder, griff
Micheles Hand und drückte sie. Jetzt war sie kühl. Sein Gesicht mit den
eingefallenen Augenhöhlen wirkte eisig, als wären feine Schneekristalle darauf
gefroren.
„Fühlst du’s? Der Tod hat seine
Hand nach mir ausgestreckt.“
Michele hustete wieder, und Nerina
konnte nicht unterscheiden, ob es ein Lachen war oder nur dieses trockene,
wüste Bellen.
Der Pater beugte sich über Michele
und versuchte zu flüstern. Die Stimme war jedoch hell genug, sodass Nerina
jedes Wort hören konnte.
„Wo ist das Bild?“
Die Frage schnitt in die karge
Stille der Hütte wie ein Messer. Nerina sah, dass Michele die Augen öffnete und
in das dunkle Loch der Kapuze starrte. Bestimmt hätte er diesem Pater jetzt am
liebsten den Habit vom Leib gerissen.
„Ich habe keine Bilder mehr!“, antwortete
Michele und keuchte vor Anstrengung. „Der berühmte Maler Caravaggio besitzt
keine einzige Leinwand mehr!“
Michele drehte sich auf den Rücken
und versuchte, die Ellenbogen unterzustemmen, um sich aufzurichten, aber der
Pater drückte ihn mit der Hand nieder.
„Wo ist das Bild?“
„Ihr tut ihm weh!“, fuhr Nerina
dazwischen und schob die Hand des Paters von Micheles Brustkorb. „Er erstickt!“
„Soll er ersticken!“, murmelte
Pater Leonardus.
Heftig um Atem ringend, lag Michele
auf dem Rücken, die Augen geschlossen und einen entspannten Ausdruck im
Gesicht.
„Das Bild, das Ihr wollt, ist ihm
gestohlen worden“, fuhr Nerina den Mönch an.
„Gestohlen?“
„Es blieb auf der Feluke. Aber der
Gardekapitän De Albear blieb nicht in Port’Ercole. Mit der gesamten Ladung hat
er sich sofort wieder in Bewegung gesetzt. Man hat ihn, Euch, uns alle an der
Nase herumgeführt, und wir sind brav in die Falle getappt.“
Nerina konnte beobachten, wie der
Pater zusammenzuckte. Ihre Finger begannen unter dem üppigen Ärmelstoff zu
arbeiten. Sie kneteten die Unterarme. Die ganze Gestalt spannte sich.
„Wo ist die Feluke geblieben?“
„Sie ist unterwegs nach Rom!“
„Oddio, nach Rom!“
Michele zupfte den Pater am Ärmel.
„Nicht ganz“, flüsterte er und musste
wieder husten. „Im Palazzo Cellammare habe ich Bilder zurückgelassen. Nur die
Marchesa weiß, wo sie sind.“
Mit letzter Kraft versuchte Michele
zu lachen. Abermals beugte sich der Pater über ihn.
„Was hast du gemalt, du Hund? Was
ist auf dem Bild?“
Michele lächelte entspannt. Ein
friedlicher Zug spielte um die Lippen.
„Lasst ihn, er schläft!“, fuhr
Nerina den Pater an. Diesmal wurde sie energisch. Sie zog Pater Leonardus von
Micheles Bettstatt weg. Der riss sich los, griff nach Micheles Arm und
schüttelte ihn.
„Wach auf! Was war auf dem letzten
Bild zu sehen?“
„Eine Enthauptung des Johannes. Er
hat sich als Johannes dargestellt. Das wisst Ihr doch, und nun verschwindet!“
Als hätte ihn ein Peitschenschlag
getroffen, fuhr der Pater herum. Er packte Nerina an beiden Armen. Sie schrie
kurz auf, weil er stark zudrückte.
„Was noch? Nur der Kopf?“
„Ich ... nein ... Herodes noch und
Salome und ... Ihr tut mir weh ... ein Soldat. Der bringt das Tablett mit dem
Kopf.“
So unerwartet ließ der Pater los, dass
Nerina stolperte und sich an Micheles Bett festhalten musste.
„Und Euch!“, hauchte Michele. „Euch
alle!“
„Der Teufel soll ihn holen. Ein
Satan im Leben wie im Sterben!“
Mit langen Schritten verschwand der
Pater durch die Tür.
Nerina kauerte noch am Bettrand und
rieb sich die Arme, als Michele
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