Das Vermaechtnis des Caravaggio
Plötzlich schienen sie sich geeinigt zu haben und kamen die
Treppe herauf. Die Stimmen wurden lauter. Sicherlich würden sie Donna Bruna,
ihre Hauswirtin, wecken. Rasch erhob sie sich. Sie entdeckte ihr Kleid auf
einer der Staffeleien und streifte es sich über. Das Leinen kratzte angenehm
belebend auf der Haut. Keine fünfzehn Fuß entfernt schnarchte Michele am Tisch.
Er war auf seinem Stuhl eingeschlafen und hatte eine Kopfseite in die Farbreste
seiner Palette getaucht. Neben ihm stand eine leere Korbflasche.
Jetzt hatten die flüsternden
Stimmen ihre Wohnungstür erreicht und hielten inne. Bis zum Hals klopfte Nerina
das Herz. Wer wollte um diese Zeit zu ihnen?
„Michele, aufwachen. Ich glaube, es
gibt Ärger.“
Michele murmelte im Schlaf, drehte
jedoch nur den Kopf auf die andere Seite. Nerina gab ihm einen kräftigen Stoß
in die Seite. Wie sie es satthatte, den Trunkenbold zu wecken.
„Gläubiger! Sie wollen eines deiner
Bilder pfänden.“
Der Trick gelang immer. Dieser
Malteufel konnte noch so tief in den seidenen Kissen des Weinrauschs liegen,
die Angst davor, dass eines seiner Bilder in die unrechten Hände geriet, trieb
ihn sofort auf. Doch diesmal war es zu spät. Michele sah Nerina an, und sie wusste,
dass er noch nach Gegenwärtigkeit suchte, dass er sich hier in diesem Raum erst
verankern musste, als bereits die Tür gegen die Wand flog, ein Gewirr an
Stimmen und Menschen in den Raum flutete. Eine ganze Horde von Männern stürmte
auf Michele zu, der schützend die Hände über den Kopf hielt.
„Ciao bella, ciao Nerina, ciao
Michele!“, brüllte der vorderste Besucher, ein ungewaschener, nach ranzigem Öl
riechender Fischer, der noch den Teil eines Netzes im Arm hielt. „Caravaggio,
sieh her!“
Besorgt beobachtete Nerina, wie
Michele die Hände vors Gesicht schlug und die Stirn auf den Tisch zurücksinken
ließ. Die Geste war eindeutig. Auf seinem Gesicht erschien die Frage: Was habe
ich nur verbrochen?
„Camillo, du weißt doch, dass er
kein Geld hat“, versuchte Nerina Michele zu verteidigen.
„Er hat nie Geld.“ Der Fischer
gebot den anderen mit einer Armbewegung Ruhe. „Aber ich komme nicht deswegen.
Sieh her, Michele. Kennst du das?“
Nur langsam schien Michele aus
seinem Rausch aufzutauchen. Nerina ging quer durch den Raum, nahm die Karaffe
vom Waschtisch und goss sie Michele mit einem kräftigen Schwung über den Kopf.
Der schüttelte sich wie ein Pudel.
„Madonna! Was soll das, Nerina?“, prustete
er.
„Du sollst aufwachen“, betonte der
Fischer, „und dir dies hier ansehen.“
Nerina trat hinter ihn und rieb
Micheles nasse Haare mit einem Tuch trocken. Ein Geruch von Farbe, Fett und
Wein stieg davon auf. Sie genoss es, ihm über den Kopf zu fahren.
Michele atmete schwer. Mit einer
Handbewegung schob er sie von sich und strich sich das Haar aus der Stirn,
während es in der Runde still wurde.
„Was ist das?“
„Was ist das? Was ist das?“, äffte
ihn der Fischer nach. „Ein Tuch natürlich. Aus Seide.“
Das Tuch war zusammengerollt wie
ein Seil, tropfnass und zerknittert, als hätte man es an einer Seite
zusammengebunden.
„Und es gehört dir, Michele!
Bernardo hat es gesagt. Gehört es dir?“
Er faltete das Tuch auseinander. Am
unteren Ende kam ein Monogramm zum Vorschein, MMC.
„MMC heißt doch Michelangelo Merisi
da Caravaggio“, mischte sich jetzt Bernardo ein. Nerina mochte den Bäcker vom
Ende der Straße mit seinen teigigen Augen und der hohen Stimme. Gutmütig war
er, etwas tollpatschig in seinen Höflichkeiten und immer fröhlich, aber sie
hatten bei ihm Schulden, die allein eine ganze Leinwand gefüllt hätten. Irgendetwas
stimmte nicht. Selbst sein Gesicht blieb so verschlossen und ernst wie die der
anderen. Nerina hatte das Gefühl, als sei hier ein Verhör im Gange, als würden
hier Inquisitoren nach Recht und Unrecht forschen. Ein Kribbeln zog sich ihren
Bauch hinauf und schmerzte plötzlich im Nabel.
„Ja doch, ja doch!“ Michele rieb
mit den Handflächen sein Gesicht. „Ich hatte es Lena gegeben. Als Dankeschön.“
„Wir haben es im Tiber gefunden,
Michele.“
„Dann hat es ihr nicht gefallen.
Auch recht. Gib her. Danke – und jetzt verschwindet. Ich muss schlafen.“
Der Fischer ließ seine Hand sinken,
mit der er Michele das Seidentuch vor die Augen gehalten hatte. Michele griff
ins Leere.
Sofort sprang Michele auf wie ein
verwundetes Tier.
„Gib her!“, fauchte er heiser.
Nerina hielt ihn beschwichtigend am
Arm
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