Das Vermächtnis des Templers
gleich.
«Der Abt hat mich rufen lassen», antwortete er, «… und wollte mit mir sprechen.»
Er hielt einen Moment inne.
«Die beiden Reiter haben sehr gut von dir gesprochen. Sie lobten deine Klugheit und Freundlichkeit. Und sie halten dich für einen gottesfürchtigen Menschen. So schickte der Abt heute Morgen einen Reiter, um mich hierher zu holen.»
«Warum hat er das getan?»
«Er wollte mit mir sprechen. Über dich.»
«Über mich?»
«Ja. Die beiden Reiter halten dich für einen guten, klugen Jungen. Und deshalb hat der Abt mir ein Angebot gemacht.»
Der Junge blickte auf.
«Er möchte, dass du Mönch wirst.»
Der Junge sah seinen Vater ungläubig an.
«Ich? Mönch? Aber ich bin ein Junge vom Lande. Ich kann nur das, was man als Landmann können muss.»
«Das stimmt», sagte der Vater. «Aber du weißt auch, dass es Recht ist, wenn der älteste Sohn den Hof erhält. Das wird dein Bruder sein. Das Angebot des Abts ist ein Geschenk Gottes. Hier im Kloster wirst du nie Hunger leiden müssen. Du wirst Lesen und Schreiben lernen, fremde Sprachen. Du wirst vielleicht selbst einmal Abt werden können.»
Der Junge hatte seinem Vater bewegungslos zugehört. Nun starrte er auf den Tisch.
Es dauerte eine Weile, bis er die Sprache wiederfand.
«Aber wenn ich doch lieber das sein will, was ich immer war?»
Der Vater nahm seine Hand.
«Glaub mir. Es ist ein großes Geschenk. Andere Kinder, die im Kloster aufgenommen werden, müssen viel Geld mitbringen. In deinem Fall will der Abt eine Ausnahme machen, weil die hohen Herren es so wollen.»
Der Junge sah seinen Vater an.
«Und Mutter?»
«Sie weiß noch nichts. Aber ich bin sicher, sie wird es genau so sehen. Und der Abt hat zugestanden, dass wir dich besuchen können. Es wird fast so sein, als würden wir dich auf einen anderen Hof geben.»
Schweigend saßen die beiden beisammen. Dann umarmte der Vater den Sohn, drückte ihn fest an sich.
«Wenn du meinst…», sagte der Junge zaghaft.
«Es wird gut werden», sagte der Vater. «Glaube mir, es fällt mir nicht leicht. Du wirst uns allen fehlen …»
Der Vater wusste nichts anderes zu tun, als den Jungen noch einmal zu umarmen.
Wenig später verließen beide das Gebäude und gingen hinüber zu dem großen Steinhaus. Vor dem Eingang stand der Abt zusammen mit den Reitern. Er umarmte sie, und die beiden bestiegen ihre Pferde. Als sie den Jungen näherkommen sahen, wandte sich der ältere Reiter ihm zu. Da war nicht mehr jener durchdringende Blick, den der Junge gestern an ihm beobachtet hatte, vielmehr ein Ausdruck des Wohlwollens und der Freude.
«Ich weiß, dass von nun an Großes auf dich wartet, Junge. Sei dem Abt ein gottesfürchtiger Mönch. Und lerne viel. Wir werden wiederkommen.»
Er ließ sein Pferd kehrt machen, trieb es an und galoppierte zum Tor, gefolgt von seinem Begleiter. Kurz vor der Mauer mäßigten beide das Tempo, schauten zurück, winkten ein letztes Mal und verschwanden durch die große Pforte.
Der Junge blickte ihnen nach. Und zugleich blickte er ihnen nicht nach, blickte durch sie hindurch, dachte für einen Moment an das, was kommen würde, das Ungewisse, dachte an den Hof, der sein Zuhause war, an die Mutter, an die ihm so vertrauten Wälder, das satte Grün der Wiesen, an die Felder, die mit jeder Jahreszeit ihr Gesicht änderten, die Greifvögel, die über dem Moor ihre Kreise zogen.
Und niemand schien seine Tränen zu bemerken.
Dieser Junge war ich …
Laude#
Johannes legt das Buch zur Seite und schaut sich um. Hier im Calefactorium, dem einzigen beheizten Raum des Klosters, lässt sich im Winter auch zu später Stunde noch arbeiten. Aber nur einige Mönche tun dies. Gewöhnlich nutzen sie das Wenige, was sie von der Nacht haben, für den Schlaf. So kommt es, dass Johannes den warmen Raum ganz für sich hat und an einem der vier Lesetische sitzen kann. Auch er müsste schlafen, um die Anzeichen seiner Krankheit wenigstens zu mildern. Doch heute hat er die guten Ratschläge des Infirmarius ignoriert. Kurz vor Beginn der Laudes unterbricht er die Lektüre, auch weil die Kopfschmerzen wieder aufsteigen. Vorausschauend hat er den Prior gebeten, für ihn die Laudes zu zelebrieren. Dennoch möchte er selbst nicht fehlen.
Als die Glocke erklingt, die die Mönche zum Stundengebet ruft, vergegenwärtigt sich Johannes die Prozedur der Laudes. Nach dem Ingressus werden die Mönche fünf Psalmen als Antiphon intonieren. Ein kurzes Responsorium wird folgen. Im Mittelpunkt des feierlichen Amtes steht das
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