Das Vermächtnis von Erdsee
Argentinien, wo er Jorge Luis Borges begegnet ist. Plus ç'est la même chose, plus ça change.
Es war eine Freude für mich, zur Erdsee zurückzukehren und sie wiederzufinden, vollkommen vertraut und doch verändert und noch immer im Wandel begriffen. Wovon ich vermutet hatte, dass es eintreten würde, ist nicht geschehen, die Menschen sind nicht das, wofür ich sie gehalten habe, und ich verirre mich auf Inseln, die ich glaubte, in-und auswendig zu kennen.
Daher sind diese Erzählungen Berichte von meinen Erkundungen und Entdeckungen: Geschichten aus der Erdsee für diejenigen, die diese Welt geliebt haben oder glauben, sie lieben zu können, und die bereit sind, folgende Voraussetzungen zu akzeptieren:
Dinge ändern sich:
Autoren und Magiern sollte man nicht immer trauen: Niemand kann einen Drachen erklären.
Der Finder
1.Finstere Zeiten
Dies ist die erste Seite aus dem Buch der Finsternis, das vor langer Zeit in hardischen Runen aufgezeichnet wurde:
»Nachdem Elfarrad und Morred gestorben waren und die Insel Solea im Meer versunken war, übernahm der Rat der Weisen die Regierung für Serriadh, der noch ein Kind war, bis er den Thron besteigen konnte. Seine Regierungszeit war glanzvoll, aber kurz. Sieben Könige folgten ihm in Enlad, und das Reich erlebte wachsenden Frieden und Reichtum. Dann fielen die Drachen ins Westland ein und die Magier zogen vergeblich gegen sie zu Felde. König Akambar verlegte den Hof von Berila in Enlad in die Stadt Havnor, von wo aus er Flottengeschwader gegen die Invasoren aus dem Kargadreich aussandte, und er drängte sie in den Osten zurück. Sie aber schickten ihre Piratenschiffe auch weiterhin sogar bis in das Innenmeer. Der letzte König war Maharion, der sowohl mit den Drachen als auch mit den Kargs Frieden schloss, doch zu einem hohen Preis. Und als der Runenring zerbrochen war, Erreth-Akbe mit dem großen Drachen starb und Maharion der Kühne durch feige Hinterlist getötet wurde, mochte es den Anschein haben, als werde im Archipel nichts Gutes mehr geschehen.
Viele erhoben Anspruch auf Maharions Thron, doch keiner konnte ihn halten und die Streitigkeiten zwischen den Anwärtern machten jede Loyalität zunichte. Es gab keinen Gemeinsinn und keine Gerechtigkeit mehr, nur noch der Wille der Reichen zählte. Männer von Adel, Kaufleute und Piraten, jeder, der Soldaten und Zauberer in seinen Dienst nehmen konnte, nannte sich selbst einen Lord und erhob Besitzansprüche auf Ländereien und Städte. Die Kriegsherren machten die eroberten Völker zu Sklaven, doch diejenigen, die in ihren Diensten standen, waren die eigentlichen Sklaven, weil sie nur ihren Herrn hatten zum Schutz vor rivalisierenden Kriegsherren, die das Land eroberten, vor Seepiraten, die plündernd in die Häfen einfielen, und Banden von Gesetzlosen, elenden, um ihr Hab und Gut gebrachten Menschen, vom Hunger zu Raub und Plünderei getrieben.«
Das Buch der Finsternis, das gegen Ende der Zeit geschrieben wurde, von der es erzählt, ist eine Sammlung in sich widersprüchlicher Geschichten, bruchstückhafter Biographien und verstümmelter Legenden. Doch von allen Berichten, die jene finsteren Zeiten überdauerten, ist es der beste. In ihrer Eitelkeit und Ruhmsucht wollten die Kriegsherren keine Geschichtsschreibung, und sie verbrannten die Bücher, aus denen die Armen womöglich hätten lernen können, was Macht ist.
Wenn aber die Lehrbücher eines Magiers einem Kriegsherrn in die Hände fielen, so behandelte er sie eher mit Vorsicht; er hielt sie unter Verschluss, damit sie unwirksam blieben, oder gab sie einem Zauberer in seinen Diensten, damit er sie nach seinem Willen verwendete. Am Rande dieser Zauberformeln und Wortlisten oder auf der letzten Seite dieser Bücher mit dem überlieferten Wissen hatte womöglich ein Zauberer oder sein Lehrling die Erinnerung an eine Seuche festgehalten, an eine Hungersnot, eine Invasion, einen Wechsel der Meister, zusammen mit den Zaubersprüchen, die bei solchen Gelegenheiten verwendet werden, und deren Erfolg oder Misserfolg. Solche zufälligen Erinnerungen sind wie lichte Momente, eingestreut zwischen all die finsteren ringsum. Sie sind wie das Blinken eines hell erleuchteten Schiffes in der Nacht, weit draußen auf See, im Regen.
Und dann gibt es da Lieder, alte Gesänge und Balladen von kleinen Inseln und aus dem stillen Hinterland von Havnor, die die Geschichte jener Jahre erzählen.
Havnor-Großhafen ist die Stadt im Herzen der Welt, mit ihren weißen
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