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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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meinte Losens obersten Magier mit Namen Gelluk, der in Havnor sehr gefürchtet war.
    »Das wird nicht reichen.«
    »Könntest du diesen Zauber lösen?«
    Eine Regung der Selbstzufriedenheit flackerte kurz in Otters müdem, mitgenommenem jungen Gesicht auf. »Nein«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand das kann.«
    »Zu dumm. Das hättest du zum Verhandeln benutzen können.«
    Otter schwieg.
    »Eine Spürnase ist ein nützliches Ding, ein verkäufliches Ding«, fuhr Hund fort. »Nicht dass ich Konkurrenz brauche. Aber ein Finder findet immer Arbeit, wie man so schön sagt... Bist du je in einem Bergwerk gewesen?«
    Die Hellsicht eines Magiers ist dem Wissen nahe verwandt, auch wenn er vielleicht nicht weiß, was er weiß.
    Das erste Anzeichen für Otters Begabung war mit zwei oder drei Jahren seine Fähigkeit gewesen, zielsicher auf verlorene Dinge zuzugehen, einen heruntergefallenen Nagel, ein verlegtes Werkzeug, sobald er das Wort dafür verstand. Und als Junge hatte eine seiner liebsten Vergnügungen darin bestanden, allein aufs Land hinauszugehen, über die Wege oder die Hügel zu streifen und durch die nackten Fußsohlen, durch den ganzen Körper die unterirdischen Wasseradern zu spüren, Erzgänge und -klumpen, die Schichten und Faltungen von Gesteinssorten und Erde. Es war, als ob er sich in einem großen Gebäude bewegen würde und dessen Räume und Flure sähe, den Abstieg zu luftigen Kammern, das Schimmern von Silberadern in den Wänden; und wenn er weiterging, war es, als ob sein Leib und mit dem der Erde eins würde, und er kannte ihre Arterien und Muskeln wie die eigenen. Als Junge war dieses Vermögen seine Lust gewesen. Er hatte nie nach einer Verwendung dafür gesucht. Es war sein Geheimnis gewesen.
    Er beantwortete Hunds Frage nicht.
    »Was ist unter uns?« Hund deutet auf den Boden, der mit Schieferplatten ausgelegt war.
    Otter war ein Weilchen still, dann sagte er: »Lehm und Schotter, und darunter Felsen, in dem es Granaten gibt. Alles unter diesem Teil der Stadt ist aus solchem Gestein. Ich kenne die Namen nicht.«
    »Du kannst sie lernen.«
    »Ich kann Schiffe bauen, ich weiß, wie man sie segelt.«
    »Du bleibst besser weg von den Schiffen, von all dem Kämpfen und Plündern. Der König betreibt das alte Bergwerk in Samory, hinter dem Berg. Dort wärst du ihm aus den Augen. Für ihn arbeiten musst du, wenn du am Leben bleiben willst. Ich werde dafür sorgen, dass du dorthin geschickt wirst. Wenn du gehst.«
    Nach einer kleinen Pause sagte Otter: »Danke.« Und er sah mit einem kurzen fragenden und abwägenden Blick zu Hund auf.
    Hund hatte ihn geholt, hatte dabeigestanden und zugesehen, wie Otters Familie bewusstlos geschlagen worden war, und hatte nichts dagegen unternommen. Und doch redete er wie ein Freund. Warum?, fragte Otters Blick. Hund antwortete ihm.
    »Männer der Macht müssen Zusammenhalten«, sagte er. »Männer, die überhaupt kein Können besitzen, die nichts besitzen außer Reichtum, hetzen uns gegeneinander auf, zu ihrem und nicht zu unserem Vorteil. Wir verkaufen ihnen unsere Macht. Warum tun wir das? Gingen wir gemeinsam unseren eigenen Weg, das wäre besser, vielleicht.«
     
    Hund meinte es gut, als er den jungen Mann nach Samory schickte, aber er begriff nicht, wie Otters Willen beschaffen war. Otter begriff es ja selbst nicht. Er war zu sehr daran gewöhnt, anderen zu gehorchen, und sah daher nicht, dass er in Wirklichkeit immer seinen eigenen Neigungen gefolgt war; und er war zu jung, um zu glauben, dass ihn, was immer er auch tat, umbringen könnte.
    Er hatte fest vor, sobald sie ihn aus seiner Zelle herausholten, den alten Zauber der Selbstverwandlung anzuwenden und zu fliehen. Sein Leben war nun wirklich in Gefahr, und es wäre daher in Ordnung, den Zauber zu benutzen. Nur konnte er nicht entscheiden, welche Gestalt er annehmen sollte - die eines Vogels, eines Wölkchens oder einer Rauchsäule. Was wäre das Sicherste? Aber Losens Männer, die an die Tricks von Zauberern gewöhnt waren, taten ihm ein Schlafmittel ins Essen. Wie einen Hafersack warfen sie ihn auf einen Maultierkarren. Als er während der Reise zu erkennen gab, dass er wieder zu sich kam, schlug ihm einer von ihnen mit der Bemerkung auf den Kopf, er wolle nur sichergehen, dass er sich auch ausruhe.
    Als er wieder zu sich kam, krank und schwach von dem Gift und mit schmerzendem Kopf, befand er sich in einem Raum mit Ziegelwänden und zugemauerten Fenstern. Die Tür hatte keinen Riegel und kein

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