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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula K. Leguin
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sichtbares Schloss. Doch als er versuchte, auf die Beine zu kommen, fühlte er Zauberbande um sich, die seinen Körper und seinen Geist fesselten, unzerreißbar, eng anliegend und einschnürend, sobald er sich bewegte. Er konnte stehen. Aber er konnte keinen Schritt auf die Tür zu tun. Er konnte nicht einmal die Hand ausstrecken. Das war ein schauerliches Gefühl, als ob seine Muskeln nicht ihm gehörten. Er setzte sich wieder hin und versuchte, stillzuhalten. Die Zauberbande um seinen Brustkorb hinderten ihn daran, tief durchzuatmen, und auch sein Geist fühlte sich erstickt, als ob die Gedanken in einem Raum zusammengedrängt wären, der zu klein für sie war.
    Nach langer Zeit öffnete sich die Tür und mehrere Männer kamen herein. Er konnte sich nicht gegen sie wehren, als sie ihn knebelten und ihm die Arme auf den Rücken banden. »Jetzt wirst du keine Zauber mehr wirken oder Flüche sprechen, junger Mann«, sagte ein breiter, kräftiger Mann mit gefurchtem Gesicht. »Aber gut mit dem Kopf nicken, das kannst du doch, nicht wahr? Sie haben dich als Wünschelrutengänger hierher geschickt. Wenn du ein guter Wünschelrutengänger bist, wirst du gut zu essen bekommen und angenehm schlafen. Zinnober, danach musst du suchen und nicken. Die Magier des Königs behaupten, in diesen alten Stollen müsse es noch etwas davon geben. Und er will es haben. So ist es das Beste für uns, dass wir es finden. Ich bringe dich jetzt hinaus. Es ist, wie wenn ich der Gesteinssucher wäre und du mein Zauberstab, verstehst du? Du führst. Und wenn du nach dieser Seite gehen willst, dann deutest du mit dem Kopf, so. Und wenn du unter dir Erz fühlst, dann stampfst du mit dem Fuß auf, so. Das ist doch ein Geschäft, nicht wahr? Und wenn du anständig bist, dann bin ich es auch.« Er wartete auf Otters Nicken, aber Otter stand reglos da. »Schluss mit der Schmollerei«, sagte der Mann. »Wenn dir diese Arbeit nicht passt, dann gibt es immer noch den Röstturm.«
    Der Mann, den die anderen Licky nannten, führte ihn hinaus in einen heißen, strahlenden Morgen, der ihn blendete. Beim Verlassen der Zelle hatte er gespürt, wie die Zauberbande sich lösten und von ihm abfielen, doch da waren andere Zauberbande, die um andere Gebäude des Orts gewebt waren, insbesondere um einen hohen steinernen Turm, und alles mit zähen Linien des Widerstands und der Abstoßung durchzogen. Wenn er versuchte, sie zu betreten, durchbohrten tödlich stechende Schmerzen sein Gesicht und seinen Leib, sodass er entsetzt nach der Wunde fasste, doch er fand keine Wunde. Geknebelt und gefesselt, ohne Stimme oder Hände zum Arbeiten, konnte er gegen diese Zauber überhaupt nichts ausrichten. Licky hatte ihm ein geflochtenes Lederband um den Hals gelegt, hielt es am anderen Ende und folgte ihm. Er ließ Otter in einige Zauber hineinlaufen und danach wich Otter ihnen von selbst aus. Es war ohnehin deutlich zu erkennen, wo sich diese Zauber befanden: Die staubigen Pfade machten einen Bogen darumherum.
    Wie ein Hund an der Leine ging er dahin, zitternd vor Krankheit und Wut. Finster starrte er um sich, sah den steinernen Turm, Holzstapel neben den Eingängen, rostige Räder bei einer Grube, große Haufen Kies und Lehm. Es hatte ihn schwindlig gemacht, den schmerzenden Kopf hin und her zu wenden.
    »Wenn du ein Wünschelrutengänger bist, dann solltest du lieber suchen!«, sagte Licky, wobei er vor ihn trat und ihm ins Gesicht schaute. »Und wenn du es nicht bist, solltest du trotzdem suchen. Auf diese Weise bleibst du länger auf der Welt.«
    Ein Mann kam aus dem steinernen Turm. Er überholte sie in einem merkwürdig schiefen und schlurfenden Gang und starr vor sich hin stierend. Sein Kinn glänzte, und seine Brust war nass von Speichel, der ihm von den Lippen troff.
    »Das ist der Röstturm«, erklärte Licky. »Wo sie das Zinnober rösten, um Metall daraus zu gewinnen. Röstarbeiter sterben nach einem Jahr oder nach zweien. Wohin, Wünschelrutengänger?«
    Nach einer Weile deutete Otter nach links, weg von dem grauen steinernen Turm. Sie gingen in Richtung auf ein lang gezogenes, baumloses Tal, das hinter Grasmulden und Erzhalden lag.
    »Hier drunter ist alles längst abgebaut«, sagte Licky. Und Otter wurde langsam gewahr, welch seltsame Landschaft er unter den Füßen hatte: leere Schächte und dunkle Räume voller Luft in der dunklen Erde, ein senkrechtes Labyrinth, die tiefsten Gruben mit stehendem Wasser gefüllt. »Viel Silber war da nie und das Merkurwasser

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