Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
1
Calvyn packte die eben an Land gezogene Forelle mit der linken Hand und versetzte ihr mit einem Holzklotz einen gezielten Schlag auf den Kopf. Er legte sie zu den anderen vier ans Ufer. Zu Hause würde er sich heute Abend sehr beliebt machen, dachte er mit einem leichten Lächeln. Fünf prächtige Fische, das war ein großartiger Fang, und nach seinem Gefühl war es erst kurz nach Mittag.
Tief hängende Wolken zogen über den grau bedeckten Himmel und einige Regentropfen platschten in das ruhige Wasser des langsam dahinfließenden Flusses. Das Wetter schien von Unentschiedenheit geplagt. Seit dem Morgen hatte es immer mal wieder etwas genieselt, aber anscheinend konnte der Himmel sich nicht entschließen, ob es nun ordentlich regnen sollte oder nicht. Trotz der Wolken hatten die milden Frühlingstemperaturen Calvyn ermuntert, an seinem freien Tag zum Fluss Levan zu wandern und die gesprenkelten Tiere an seinen Haken zu locken.
Angeln war Calvyns Leidenschaft, seit der Vater ihm zum siebten Geburtstag die erste Angelrute geschenkt hatte. Jetzt, da er bereits vierzehn war und langsam die Kräfte eines Erwachsenen entwickelte, nahmen Aufgaben wie Holzhacken oder Feldarbeit immer mehr von seiner Zeit ein. Er war darüber nicht unglücklich – ganz im Gegenteil. Calvyn mochte die Tätigkeiten, die ihm übertragen wurden, und er genoss die Gesellschaft der Erwachsenen, die mit ihm arbeiteten. Die Gespräche der Großen faszinierten
ihn, und obwohl er die meiste Zeit schwieg, hörte er während der Arbeit stundenlang zu, sog die Worte ein wie ein Schwamm und speicherte sie irgendwo in seinem geschäftigen Kopf.
»Nun, meine Schönen«, sagte er zu der Reihe toter Fische. »Seid herzlich zum Abendessen eingeladen. Wenn wir uns jetzt aufmachen, haben wir noch genug Zeit, uns zu waschen, anzukleiden und es uns recht warm zu machen.« Er musste noch breiter lächeln, als er sich daran erinnerte, wie sein Vater Joran diese kleine Ansprache zum ersten Mal gehalten hatte. Calvyn hatte mit großen Augen zugeschaut, wie Joran den frisch gefangenen, eben getöteten Fisch feierlich in die Hand genommen, vor sein Gesicht gehalten und höflich eingeladen hatte. Anschließend hatte er das Maul des Fisches kurz an sein Ohr gehalten und sich mit ernstem Gesicht seinem Sohn zugewandt.
»Er sagt, er leistet uns liebend gern Gesellschaft«, hatte Joran mit diesem todernsten Gesichtsausdruck erklärt, den er so gut beherrschte.
»Ehrlich?«, hatte der kleine Calvyn erstaunt geantwortet. Joran hatte gelacht, den Fisch beiseitegelegt und seinen Sohn kräftig in den Arm genommen. »Ja, mein Sohn. Natürlich.«
Heute hatte Joran zu viel zu tun gehabt, um noch Angeln zu gehen, also hatte sich Calvyn allein zum Fluss aufgemacht. Er genoss die Ruhe und freute sich, nach Herzenslust seinen Tagträumen nachgehen zu können. Er stellte sich vor, wie er als mutiger Glücksritter in glänzender Rüstung Prinzessinnen rettete und auf einem starken weißen Hengst ritt. In seiner Fantasie sah er sich mit Drachen und bösen Rittern kämpfen und alle Widrigkeiten überwinden. Am Ende war er immer der große Held. Doch obwohl er ohne seinen Vater frei vor sich hin träumen konnte, vermisste
er ihn. Jorans trockener Humor und seine lustige Art machten die Zeit mit ihm immer sehr vergnüglich.
»Vater wird bedauern, dass er nicht mitgekommen ist«, dachte Calvyn, als er die Fische in seinen Ranzen packte, den Kopf durch den Gurt steckte und die Tasche auf den Rücken schwang. Sorgfältig befestigte er den Haken am Ende der Rute, legte die Angel über die Schulter und lief dann zwischen den Bäumen hindurch zur Straße.
Der Weg zurück zum Dorf würde eine gute Stunde dauern, denn er war sehr weit flussabwärts gewandert. Aber Calvyn angelte immer lieber in den breiteren Flussbecken, wo dicke Forellen unter den herabhängenden Bäumen lauerten, und so machte ihm die größere Entfernung nichts aus. Wenn er sich mal etwas träge fühlte, begann er an der Flussbiegung zu angeln, die dem Dorf am nächsten lag, kaum eine Viertelstunde Fußweg von seinem Haus entfernt. Doch dann zog es ihn stets flussabwärts und er geriet weiter weg als geplant.
Feiner Nieselregen fiel herab, als Calvyn den Schutz des schmalen Waldstreifens am Flussufer verließ. Die winzigen Tröpfchen drangen schnell in seine Kleider und schon bald war er durchnässt bis auf die Haut. Das helle Haar klebte ihm dunkel am Kopf. Wassertropfen rannen ihm von der Stirn, bildeten kleine
Weitere Kostenlose Bücher