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Das verwundete Land - Covenant 04

Das verwundete Land - Covenant 04

Titel: Das verwundete Land - Covenant 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Zeit. Um Sachlichkeit bemüht, schüttelte sie den Kopf.
    »Er wohnt hier in der Umgebung«, sagte der Chefarzt. »Er hat außerhalb der Ortschaft ein Haus auf einem Stück Land, das Haven Farm heißt. Man biegt dorthin rechts von der Hauptstraße ab.« Er vollführte eine vage Geste in Richtung der Kreuzung, die er meinte. »Wenn man den Ort durchquert hat, gelangt man nach ungefähr drei Kilometern hin. Auf der rechten Seite. Er ist Leprotiker.«
    Beim Wort Leprotiker gabelte sich Lindens Denken. Das war ein Resultat ihrer Ausbildung – ihrer entschiedenen Hingabe, dank der sie hatte Ärztin werden können, ohne an ihrer Einstellung zu sich selbst etwas zu ändern. Hansens Krankheit, konstatierte sie insgeheim und suchte sich aus ihrer Erinnerung Informationen zusammen.
    Mycobacterium leprae. Leprose. Die Erkrankung breitete sich im Körper aus, indem sie Nervengewebe abtötete; bei typischem Verlauf in den Extremitäten und den Hornhäuten der Augen. In den meisten Fällen konnte die Krankheit mittels eines langfristig angelegten therapeutischen Programms zum Stillstand gebracht werden, einer Behandlung, in deren Mittelpunkt DDS standen – Diaminodiphenylsulfonamide. Gelang es nicht, der Ausbreitung des Leidens Einhalt zu gebieten, vermochten die Degenerationserscheinungen Muskelschwund und Deformationen, Veränderungen der Hautpigmentierung und Blindheit herbeizuführen. Ferner sah der Erkrankte sich einer ganzen Reihe sekundärer Heimsuchungen ausgesetzt, am häufigsten Infektionen, die zusätzlich anderes Gewebe zerstörten, so daß das Opfer allmählich ein Äußeres erhielt – mit allen Konsequenzen –, als sei es lebendigen Leibes angefressen worden. Ansteckungen traten außerordentlich selten auf; Leprose war keine im herkömmlichen Sinne übertragbare Krankheit. Die vielleicht einzige statistisch erhebliche Weise, sie sich zuzuziehen, war die, als Kind in den Tropen einen längeren Aufenthalt in einer dichtbevölkerten Region mit ungesunden sanitären Existenzbedingungen durchgemacht zu haben.
    Während jedoch ein Teil ihres Gehirns einiges vom Knäuel ihres Fachwissens abspulte, befand sich ein anderer Teil in einem Gewirr von Fragen und Emotionen. Ein Leprotiker? Hier? Warum erzählt er mir das? Sie fühlte sich zwischen heftigem Ekel und Mitleid hin- und hergerissen. Das Leiden übte auf sie eine ebenso anziehende wie abschreckende Wirkung aus, weil es unheilbar war – so wenig zu kurieren wie der Tod. Sie mußte tief Atem holen, ehe sie ihre Frage stellen konnte. »Und was möchten Sie in bezug auf diesen Fall von mir unternommen haben?«
    »Tja ...« Dr. Berenford betrachtete sie, als glaube er, sie könne wirklich noch irgend etwas tun. »Nichts. Das ist nicht der Grund, weshalb ich mit Ihnen darüber spreche.« Urplötzlich stand er auf und begann sein Unbehagen auf den abgeflockten Dielen des Fußbodens abzumessen. Obwohl er kein schwerer Mann war, quietschten sie andeutungsweise unter seinem Gewicht. »Die Erkrankung ist bei ihm rechtzeitig diagnostiziert worden ... Er hat nur zwei Finger verloren. Einer unserer tüchtigeren Mitarbeiter im Labor hat sie erkannt, hier im Kreiskrankenhaus. Jetzt ist Covenants Lepra schon seit über neun Jahren nicht mehr akut. Der Grund, warum ich Ihnen davon erzählt habe, war lediglich, herauszufinden, ob Sie – empfindlich sind, was Leprotiker angeht.« Er sprach mit verzerrter Miene. »Ich war's früher. Aber ich habe genügend Zeit gehabt, um's zu überwinden.« Er räumte ihr keine Gelegenheit zu einer Antwort ein. Statt dessen redete er weiter, als lege er eine Beichte ab. »Heute habe ich einen Punkt erreicht, an dem ich in ihm nicht mehr die Personifizierung der Lepra sehe, wenn ich an ihn denke. Allerdings vergesse ich auch nie, daß er Leprotiker ist.« Er ließ sich über etwas aus, das er sich selbst bislang nicht hatte verzeihen können. »Zum Teil ist das seine Schuld«, fügte er trotzig hinzu. »Er vergißt es ebensowenig jemals. Er sieht in sich nicht den Schriftsteller, den Mann, den Menschen Thomas Covenant. Er sieht sich ausschließlich als den Leprotiker Thomas Covenant.« Als sie ihn unverwandt ausdruckslos anschaute, senkte er den Blick. »Aber das ist's nicht, worum es geht. Es geht mir darum, ob es Ihnen etwas ausmachen würde, ihn aufzusuchen.«
    »Nein«, gab sie streng zur Antwort; doch die Strenge galt ihr selbst, nicht Dr. Berenford. Ich bin Ärztin. Der Umgang mit Kranken ist meine Aufgabe. »Mir ist allerdings immer noch nicht

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