Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
lassen.«
Der Prinz konnte kaum noch ein Stöhnen unterdrücken und sprach nur sehr langsam. »Da werden mich wohl seine Krieger hinbringen. Er selbst traut sich offensichtlich nur an Frauen ran. Übersetz das!«
Gideon rang die Hände, während er der Aufforderung nachkam. »Er sagt, du bist seiner nicht würdig, denn du bist ein Lahmbein.«
Rhonan hätte fast gelacht; war sein Bein im Augenblick doch seine kleinste Sorge. Er fragte sich vielmehr, ob er seine Arme noch einmal würde benutzen können. Entweder konnten die Horkas ihre Kraft nicht einschätzen, oder es war ihnen gleichgültig, ob sie ihm die Gelenke sprengten oder nicht. »Da, wo ich herkomme, haben große Krieger auch große Narben. Wer nur andere für sich kämpfen lässt, kann davon natürlich nichts wissen. Sag ihm das, und sag ihm auch: Ihn allein würde ich selbst mit zwei lahmen Beinen besiegen. Guck nicht, übersetze! Und bitte: schnell!« Die Horkas zwangen ihn fast in die Knie.
Gideon stöhnte unglücklich und übersetzte nur leise: »Morgen, wenn die frühe Sonne den Gipfel erreicht, wird er gegen dich kämpfen. Er wird dir die Beine und die Arme abhacken, dich jedoch am Leben erhalten, damit zu zusehen kannst, wie deine Frau seinen Samen empfängt.«
Der Häuptling schubste Caitlin von sich weg, wandte sich um und ging zu einem der Stühle, und die Horkas ließen Rhonan endlich los.
Die Prinzessin stürzte los und warf sich sofort an dessen Brust.
Ohne Stoßen oder Zerren wurden sie wieder zu ihrem Platz gebracht.
Caitlins Wimmern wurde zwar leiser, ihre Augen waren aber unnatürlich weit aufgerissen. Wie ein Häufchen Elend kauerte sie neben dem Prinzen und sah furchtsam um sich herum.
»Wir werden alle sterben, nicht wahr«, murmelte sie tonlos. »Die sind schlimmer als Wölfe … viel, viel schlimmer.«
»Och, das würde ich so nicht sagen«, versuchte Rhonan sie zu trösten. »Wölfe hätten uns längst zerrissen. Bisher lief es doch ganz gut. Wir haben es warm und trocken, können uns erholen und …« Er verstummte. Ohne sich umzudrehen, wusste er, dass Horkas sich näherten, denn Caitlin packte seinen Oberarm mit beiden Händen.
Drei Schalen mit Braten und Fladen wurden vor sie gestellt.
Gideon bedankte sich mit heiserer Stimme dafür, während der Magen der Prinzessin sofort so laut knurrte, dass Rhonan breit grinste. »Und wir bekommen endlich wieder einmal Fleisch. Ich weiß nicht, wie es euch geht … mir jedenfalls gefällt’s hier zurzeit besser als draußen.«
Er angelte sich ein Stück Braten, und auch Caitlin griff sofort zu und biss herzhaft hinein. »Ich war am Verhungern«, erklärte sie mit vollem Mund und schloss die Augen.
Gideon war zwar ebenfalls hungrig, musste aber noch das gerade Geschehene verdauen. Fassungslos starrte er seine offensichtlich zufriedenen Gefährten an. »Ihr denkt jetzt ans Essen? Das fass ich nicht.« Sein Blick blieb am Prinzen hängen. »Bist du von Sinnen, diese haarige Muskelmasse zum Zweikampf zu fordern, oder bist du des Lebens nur restlos überdrüssig?«
Der schluckte seinen Bissen hinunter, bevor er zwinkernd zurückfragte: »Das fragst du mich erst heute? Wäre ich immer bei Sinnen, säße ich irgendwo in einem netten Gasthaus und ganz sicher nicht mit euch beiden im Wintergebirge.«
Caitlin wischte sich Bratensaft vom Kinn, leckte sich die Finger, öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, entschied sich aber um und aß lieber weiter, während der Verianer ungewohnt laut wurde. »Du machst Witze? Ich kann dem bevorstehenden Kampf aber auch gar nichts Lustiges abgewinnen.«
»Ich auch nicht«, gab der Prinz zu. »Aber zumindest birgt er doch Hoffnung. Hättest du bessere Vorschläge zu unserer Rettung gehabt?«
Er war so barmherzig, weiterzusprechen, bevor der Verianer mehr als nur die Augen senken konnte. »Grüble nicht so viel, iss lieber! Morgen ist morgen, doch heute können wir es uns gutgehen lassen. Verpasste Gelegenheiten können einen schnell das Leben kosten.«
Gideon öffnete den Mund, aber ein kurzer Blick des Prinzen auf Caitlin und ein kaum wahrnehmbares Kopfschütteln ließen ihn schweigen und essen. Obwohl er in den letzten Tagen ebenfalls unter Hunger gelitten hatte, schmeckte das zarte Wolfsfleisch bitter. Ohne Bedauern trat er die Hälfte seiner Mahlzeit an Caitlin ab.
Die seufzte tief, als sie ihre Schale, in der nur noch abgenagte Knochen lagen, wegschob. »Oh, war das gut. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie sich Sattsein und
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