Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
sein und uns mit ihnen treffen«, erklärte Hylia.
Dann warf sie Morwena einen zweifelnden Blick zu. »Canon wird das aber nicht wollen.«
Die Königin lächelte spitzbübisch. »Sogar ganz sicher nicht! Deshalb wirst du ihn besser gar nicht erst fragen. Teile ihm nur mit, dass wir sie erwarten oder allein weitergehen, dann trenne die Verbindung. Sie werden kommen. Schließlich können sie uns arme, schwache Frauen nicht schutzlos im Wolkengebirge umherirren lassen. Und wohlgemerkt, Mädels, kein Wort zu irgendwem sonst. Wir wollen hier niemanden unnötig mit unseren Plänen belasten. Wir brechen kurz vor dem Morgengrauen auf, dann wird unsere Reise nicht weiter auffallen. Wenn das Lager erwacht, sind wir schon fort. Damit sich keiner um uns sorgt, werde ich eine Nachricht für Darius zurücklassen.«
Über die Gesichter aller armen, schwachen Frauen glitt ein Lächeln, bevor sie zunächst kicherten und dann in schallendes Gelächter ausbrachen.
Morwena dachte kurz an das Versprechen, das sie Canon gegeben hatte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Sie würde jedes Wort brechen, wenn sie damit verhindern konnte, dass ihre Söhne starben. Liebevoll umarmte sie die jungen Frauen und wünschte eine gute Nacht.
Auch Juna zog sich mit einem letzten spöttischen Lächeln zurück, und Marga knurrte unwillkürlich. »Können wir uns wirklich auf ihr Wort verlassen?«
Caitlin schüttelte den Kopf. »Auf ihr Wort nicht, aber auf ihre Gier! Und eins kann ich dir sagen: Sie ist unglaublich stark und keinesfalls leicht einzuschüchtern. Vertrauen würde ich ihr nie, aber ich werde ihre Hilfe dankbar annehmen, führt sie uns doch vielleicht zum Sieg.«
»So sei es«, erwiderte die Hauptmännin und umarmte ihre Freundinnen kurz zum Abschied.
Hylia blieb noch bei ihrer Freundin sitzen und strich ihr liebevoll über den Arm. »Wirst du schlafen können?«
»Ich denke, ja!«
»Es wird ihm schon gutgehen.«
Caitlin schüttelte traurig den Kopf. »Nein, so wie ich Mutter kenne, wird es das nicht, aber daran kann jetzt keiner etwas ändern. Er wird es überstehen wie alles andere auch. Und, wie du gesagt hast, Hylia, versuche ich, nur noch an die Zukunft zu denken, und die können und werden wir mitgestalten. Ich sehne mich nach Rhonans Armen, aber ich spüre sie auch fast. Ich weiß, dass alles gut wird.«
Sie schluckte und lächelte dann ziemlich verzerrt. »Morgen wirst du Canon wiedersehen. Freust du dich?«
»Ich weiß nicht so recht«, entgegnete ihre selbstbewusste und üblicherweise nahezu unerschütterliche Freundin kläglich. »Schließlich habe ich ihn in der letzten Zeit so oft belügen müssen, und jetzt tue ich wieder etwas, was er bestimmt nicht will. Hoffentlich reißt er mir nicht den Kopf ab, sobald er mich sieht.«
»Doch nicht, wenn seine Mutter dabei ist! Schließlich war es ihr Einfall.«
Beide schenkten sich ein halbes Lächeln, küssten sich herzlich und wünschten sich eine gute Nacht.
29. Kapitel
C aitlin war am nächsten Morgen sichtlich beeindruckt, als sie mit ihren Begleiterinnen einen frei stehenden Turm verließ und über den Burghof von da’Kandar schritt. Die Festung war aus grauem Stein erbaut und einfach nur als gewaltig zu bezeichnen. Acht Türme ragten neben unzähligen Giebeln in den Himmel. Unglaublich viele Nebengebäude schmiegten sich an die Burgmauern. Doch im Gegensatz zum Nebelschloss wirkte diese Burg düster und abweisend, was vielleicht auch am Dämmerlicht lag. Lediglich zwei Küchenmädchen mit weißen Hauben huschten über den Hof und knicksten kurz in ihre Richtung.
Sie hatten aber wohl dem Hofmeister Bescheid gegeben, denn der kam ihnen entgegengeeilt, als sie das Burgtor erreichten, und nestelte noch an den Knöpfen seiner schwarzen Jacke. Wohlwissend, dass aus dem Zauberturm nur wichtige Persönlichkeiten in Begleitung von Priesterinnen kommen konnten, verbeugte er sich tief vor den ihm unbekannten Frauen.
Marga stellte die Damen kurz vor, wobei sie allerdings darauf verzichtete, Caitlin als seine neue Herrin vorzustellen. Die Prinzessin hatte darauf bestanden, sich erst an Rhonans Seite als Königin auszugeben.
Der Hofmeister, kugelrund mit Glatze, erbleichte trotzdem vor Ehrfurcht. Unter Camoras Herrschaft hatte es keinen königlichen Besuch mehr auf da’Kandar gegeben, und jetzt kam schon der zweite innerhalb kürzester Zeit.
»Verzeiht«, fragte er unter vielen Verbeugungen, »sind die hohen Herrschaften auch nur auf der Durchreise oder wird eine
Weitere Kostenlose Bücher