Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
noch dreimal und ging dann mit butterweichen Knien und schweißnassen Händen auf Pthullah zu. Der ließ sich einen Gurt aus der Haut von Riesenschildkröten umlegen, der extra für Gideon angefertigt worden war. Zwei Kalla hoben den Gelehrten in Fußschlaufen, die an Pthullas Oberschenkeln befestigt waren. Von hier aus konnte Gideon seine Hände in Schlingen auf den Schultern des Echsenmannes stecken. Im Flug würde er so mit gleich verteiltem Gewicht zwischen Pthullas Flügeln liegen.
Ptho, ein weiterer Echsenmann, sollte sie zur Sicherheit begleiten und führte nebenher Gideons Gepäck mit sich. Die ledernen Gesichter der Echsen waren eigentlich von Natur aus völlig ausdruckslos, aber Gideon hätte schwören können, ein Grinsen auf ihren Gesichtern zu sehen.
Pthullah und Pthoh schlugen mit den Flügeln und erhoben sich schließlich aus dem Stand in die Luft.
Der Verianer klammerte sich verzweifelt fest und schloss die Augen. Sein Magen hob und senkte sich. Sein Herz pochte wild und beruhigte sich wieder. Seine Muskeln verkrampften und entspannten sich. Er hätte nicht sagen können, wie viel Zeit vergangen war, bis er wagte, sich aufzusetzen und die Augen zu öffnen.
Weit unter ihnen lag das Sumpfgebiet, über ihnen türmten sich weiße Wolken und schienen zum Greifen nah. Bis auf das Geräusch des Flügelschlags war es still. Gideon glaubte, die Stille fast hören zu können. Seine Angst war von dem einen auf den anderen Augenblick wie weggeblasen und wich einem Gefühl unendlicher Freiheit und unendlichen Friedens. Die Götter, die sich den Himmel als Wohnraum erkoren hatten, hätten nicht besser wählen können. Schwerelos glitten sie durch die Lüfte. Gideon spürte weder das Gewicht seines Körpers noch die Last seiner Sorgen.
Pthullah raunte ihm etwas zu, und er antwortete wahrheitsgemäß: »Du hast recht: Ich beneide dich maßlos. Ich würde vieles dafür geben, so leben zu können wie du. Was bedeutet all das Wissen schon im Gegensatz zu dem Gefühl, eins zu sein mit der Unendlichkeit?«
Gleichzeitig im südlichen Grenzgebiet Latohors
Die Köchin, die ein mehr als großzügiges Handgeld von Hauptmann Cornelius für eine gute Bewirtung erhalten hatte, hatte es gut gemeint und geschmorte Hasenstückchen zu getrockneten Feigen und gerösteten Apfelspalten als Vorspeise serviert. Dienerin Ruth und Cornelius löffelten begeistert. Nur Caitlin ließ ihren Teller unberührt.
»So kostet doch zumindest, Prinzessin! Es schmeckt hervorragend«, bat Cornelius beschwörend, erntete aber nur ein Kopfschütteln und seufzte. »Morgen werden wir Latohor erreichen. Ich kann Euch versichern, dass es Euch dann nicht mehr an Bequemlichkeit mangeln wird. Wir sind im Grenzgebiet, hier leben nur Bauern. Euer Zimmer ist größer als die davor und angenehm kühl, und Ihr hattet Euer tägliches Bad. Da zurzeit nur wenige Kaufleute unterwegs sind, müssen wir uns die Gaststube nicht einmal mit einer anderen Reisegesellschaft teilen, und die Bewirtung ist vorzüglich. Warum müsst Ihr nur schon wieder so missgelaunt sein?«
Caitlin saß kerzengerade ganz vorn auf ihrem Stuhl, hatte ihre Hände im Schoß gefaltet und trug einen angewiderten Gesichtsausdruck zur Schau. »Ich weiß wirklich nicht, wie Ihr meinen könnt, ich könnte hier auch nur einen Bissen hinunterbringen. Reinlichkeit scheint hier nicht gefragt zu sein. Ich bin empfindlich und werde nichts essen!«
Der Hauptmann sah sich verständnislos um. Die wenigen Holztische waren weiß vom Schrubben, die Binsen frisch gestreut, sogar Wildblumen standen auf ihrem Tisch.
»Ich weiß nicht, was Ihr meint. Wie rein wollt Ihr es denn? Ich sehe weder Staub noch Dreck.«
»Ich wage es kaum zu sagen«, begann die Prinzessin und schluckte, bevor sie fortfuhr: »Mein Badewasser durfte nicht ausgekippt werden. Es sollte noch einmal benutzt werden – von irgendeinem anderen. Ich wollte es nicht glauben, aber es war ihnen tatsächlich ernst damit.« Sie sah ihn gequält an. »Das ist so … so eklig. Seid Ihr jetzt in der Lage, mich zu verstehen? Ich mag gar nicht daran denken, wie es hier in der Küche zugeht.«
Cornelius litt offensichtlich unter Unverständnis, hatte stattdessen Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. »Ich kann Euch versichern, das Wasser wurde von Euch zuerst benutzt. Hermes hat das Füllen des Zubers überwacht. Es ist nur so, dass Wasser hier außerhalb der Regenzeit knapp und daher wertvoll ist. Und wie bitte soll es in der Küche schon zugehen? Seid
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