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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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D AS L EHMHAUS . 1864
I
    Die kältesten Winde kamen aus Süden, und das Lehmhaus stand diesen Winden im Weg.
    Joseph Blackstone lag nachts wach. Er überlegte, ob er das Haus wieder auseinandernehmen und an einem anderen Ort, weiter unten im Tal, wo es geschützt stünde, wieder aufbauen sollte. Er zerlegte es im Geiste.
    Und im Geiste errichtete er es neu im Windschatten eines sanften Hügels. Doch er sagte nichts und tat nichts. Es vergingen Tage und Wochen, und der Winter kam, und das Lehmhaus stand nach wie vor den verheerenden Winden im Weg.
    Es war ihr erster Winter. Die Erde unter ihren Stiefeln war grau, das gelbe Tussockgras von Hagel wie mit Salz bestreut. Die violetten Nachmittagswolken versprachen ein großes Leichentuch aus Schnee.
    Eine Haube gegen die Kälte des Raums auf dem Kopf, saß Josephs Mutter Lilian am Holztisch und reparierte Porzellan. Porzellan, das beim Transport aus England zerbrochen war. Aus Fahrlässigkeit, behauptete Lilian Blackstone, aus Ungeschick beim Ein- und Ausladen, aus Achtlosigkeit von Menschen, die nichts vom Wert persönlichen Eigentums verstanden. Joseph erinnerte sie sanft daran, dass man nicht durch die Welt reisen konnte – bis ganz an deren anderes Ende –, ohne dass unterwegs etwas kaputtging. » Etwas «, erwiderte Lilian empört. »Das hier ist sehr viel mehr als nur etwas.«
    Ihr wütender Ton bestürzte ihn. Er betrachtete sie mit einer Furcht, die ihr bekannt vorkam. Sie schien völlig versunken in das Porzellan-Puzzle, fast als könne sie sich nicht mehr an die Form alltäglicher Gegenstände erinnern. Wie Buchstaben, diekein Wort ergeben wollten, schob sie die Teile hin und her. Nur ab und an sah sie, wie die Teile zusammenpassten, und wagte, eine Scherbe mit Klebstoff zu bestreichen. Dann drückte sie diese Scherbe mit fast übertrieben leidenschaftlichem Eifer an ihren Platz und bewegte dabei die Lippen, als spräche sie ein Gebet oder formte das einzige französische Wort, das sie kannte: voilà , was sie wie »wulla« aussprach. Und all das bestärkte Joseph nur in seiner Überzeugung: Er hatte seine Mutter nach Neuseeland gebracht, und er hatte sie enttäuscht, so wie er sie immer und immer wieder enttäuscht hatte. Sein ganzes Leben lang – so schien es ihm jedenfalls – hatte er versucht, ihr zu gefallen, aber er konnte sich an keinen einzigen Tag erinnern, an dem ihr sein Bemühen genügt hätte.
    Doch jetzt hatte er eine Ehefrau.
    Sie war hoch gewachsen, ihr Haar war braun, und sie hieß Harriet Salt. Lilian Blackstone hatte über sie gesagt: »Sie besitzt Haltung«, und Joseph fand diese Beobachtung zutreffend und scharfsichtiger, als Lilian ahnen konnte.
    Er wandte den Blick von seiner Mutter und schaute voller Bewunderung zu dieser Frau, die vor dem unwilligen Feuer kniete und die jetzt sein war. Und plötzlich war sein Herz nur noch von tiefer Dankbarkeit und Zuneigung erfüllt. Er sah, wie sie still und geduldig den Blasebalg betätigte, mit »Haltung« selbst hier im Lehmhaus, um das der Wind toste; selbst hier in diesem kalten, verräucherten Zimmer, wo der Klebstoff roch wie eine strenge Medizin, zu der sie alle drei verurteilt waren. Am liebsten hätte Joseph Harriet umarmt und ihre Haare in seiner Hand zu einem Knoten geschlungen. Er hätte am liebsten den Kopf auf ihre Schulter gelegt und ihr gestanden, was er ihr nie würde gestehen können – dass sie ihm das Leben gerettet hatte.
II
    Nach der Ankunft in Christchurch hatte Joseph sich um den Kauf der Baumaterialien für das Lehmhaus gekümmert, hatte Hilfskräfte eingestellt, Pferde und Wagen gemietet für den Transport von Blechen und Kiefernbrettern, Säcken mit Nägeln und Baumwollballen, bis endlich alles beisammen war und bereit für die Fahrt nach Nordwesten, zum Okuku-Fluss.
    Harriet hatte ihren neuen Ehemann gebeten, er möge sie mitnehmen. Hatte sich an ihn geklammert und gefleht – sie, die niemals jammerte oder sich beklagte, die stets Haltung bewahrte. Doch sie war eine Frau, die sich nach dem Ungewohnten, dem Fremden sehnte. As Kind hatte sie dieses Andere in ihren Träumen gesehen und wie es in der ungeheuren Dunkelheit des Himmels auf sie wartete: eine wilde Welt, jenseits all dessen, was sie kannte. Und die Vorstellung, ein Haus aus Steinen und Erde zu bauen, Türen und Fenster einzusetzen, einen Kamin und ein Dach gegen das Wetter zu errichten und dann darin zu leben, begeisterte sie. Sie wollte sehen, wie es Gestalt annahm, wie aus dem Nichts etwas wurde. Sie

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