Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
völlig unbelastbar und …
»Los jetzt!« Der von Furcht getriebene Verianer rammte ihm die Schultern unter den Hintern und schob kräftig. Ihm blieb gar nichts weiter übrig, als zügig die üblichen Bewegungen auszuführen. Der Schmerz raste gleichzeitig vom Knie abwärts bis in den großen Zeh und aufwärts bis in die Haarspitzen, aber immerhin saß er plötzlich im Sattel, musste sich allerdings am Knauf festkrallen, um auch oben zu bleiben. Schweiß brach ihm aus allen Poren, und er knirschte, zumindest für Gideon noch hörbar, mit den Zähnen.
Der zog erneut Marsiskraut aus seinem Säckchen und sah den Prinzen an. »Wird es gehen?«
Rhonan nickte und nahm es wortlos entgegen.
Der Gelehrte nickte ebenfalls, denn schließlich musste es ja weitergehen, und sah sich um. Erstaunt stellte er fest, dass die Prinzessin tatsächlich damit begonnen hatte, in aller Eile und völlig wahllos Nahrung und Kochgeschirr in die Satteltaschen zu stopfen. Es war das erste Mal, dass er sie etwas zumindest annähernd Sinnvolles tun sah. Ihre Schmerzen im Knöchel hatte sie offensichtlich vergessen.
»Ich will nicht in diesem Wald bleiben. Mir ist es hier unheimlich, und ich zittere noch vor Angst«, klagte sie, als sie endlich wieder Gideons Aufmerksamkeit hatte. »Ich will schnell wieder nach Kairan, und dann will ich nach Hause.«
»Das geht nicht, Caitlin«, erwiderte er sanft.
»Ich will aber!«, kreischte sie und schmetterte den Kessel auf den Boden. »Sofort! Ich hab hier nichts verloren.«
Rhonan warf ihr nur einen abschätzigen Blick zu und nahm einen Schluck aus seinem Beutel.
Gideon hob derweil beschwichtigend die Hände. »Ganz ruhig, Prinzessin! Der Rückweg dürfte länger sein als der Weg in diese Mine. Nach Kairan hinein könnten wir es gar nicht mehr schaffen. Die Stadttore werden bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen. Wir sind bald in Sicherheit.«
»Ihr lügt mich nicht an? Je weiter ich komme, desto schrecklicher wird es. Ich würde lieber umkehren.« Zumindest schien sie verunsichert, was die Wegwahl betraf.
Also wurde er noch deutlicher: »Dann müssten wir im Wald übernachten. Ihr schlaft doch nicht gern im Freien, und allein wegen der Wölfe würden auch mir dieses Mal die Knie schlottern. Die Mine, die Prinz Rhonan kennt, ist dagegen völlig sicher. Glaubt mir!«
Er hoffte inständig, dass seine kühne Behauptung sich als wahr herausstellen würde, verstaute auf ihr trostloses Nicken hin hastig die letzten Sachen, goss Wasser übers Feuer, half Caitlin aufsteigen, band die Pferde auf den genuschelten Befehl Rhonans hin aneinander und saß endlich selbst auf dem Pferd.
Weiter ging es in den Wald hinein, weiter und immer weiter. Unter den dichtstehenden Tannenriesen lastete die Dunkelheit so schwer, dass der Gelehrte bald meinte, sie auf seinen Schultern zu spüren. Er verstand auch schnell, warum der Prinz ihn angewiesen hatte, die Pferde aneinanderzubinden, denn keinen seiner Begleiter konnte er noch sehen. Caitlins anhaltendes Nörgeln und Wimmern empfand er schnell als tröstlich, sagte es ihm doch, dass er nicht so allein war, wie er sich fühlte. Ihren Führer anzurufen hatte er aufgegeben, denn der Prinz antwortete längst nicht mehr. Gideon hoffte nur, dass er noch bei Besinnung und nüchtern genug war, um sie zu führen. Selbst wenn er sich nicht im Entferntesten vorstellen konnte, wie jemand hier einen bestimmten Weg finden wollte. Immer häufiger heulte es irgendwo, und die Pferde wurden spürbar unruhig. Feuchte Kälte schlich sich unter den Mantel, jedes kleine Geräusch ließ ihn sich hektisch umsehen, und jedes schwärzere Schwarz nahm in seinen Augen die Umrisse eines Wolfs an und ließ sein Herz rasen.
Als er gerade überlegte, ob er versuchen sollte, nach vorn zu gelangen, um nach dem Prinzen zu sehen, blieb sein Pferd neben Caitlins stehen, und das Feuer einer Fackel flammte vor ihm auf. Gideon konnte wieder einen Stern sehen, die Sichel des Mondes und dann auch schemenhaft seinen Führer, der an einer Felswand etwas zu suchen schien.
»Was macht er da?«, jammerte Caitlin neben ihm. »Ich erfriere, und der kratzt am Stein rum! Ich hatte gedacht, hier wäre eine Mine. Dass er sie erst graben will, hätte er vorher sagen müssen. Aber betrunken, wie der ist, macht das für ihn wohl keinen Unterschied. Oh, ist das alles grauenhaft.« Nahes Geheul ließ sie schluchzen, schniefen, jammern und klagen … alles gleichzeitig und alles laut.
Der Verianer war schon auf dem Weg zum
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