Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
brodelte.
Sie saßen bei Eistraube und Gebäck zusammen, während ihre Erben schliefen.
Myria ließ einen Kamin mit prasselndem Feuer erscheinen. »Selbst, wenn das Feuer nicht wärmt, ich seh einfach gern Flammen«, erklärte sie.
»Das musst du nicht jedes Mal wieder erläutern«, erwiderte Dala ungehalten. »Nach geschätzten zehntausend kalten Feuern wissen wir das.«
Ihr Blick wanderte wieder zu Palema, die gerade ihren Becher auf ein Tischchen knallte. »Bevor du beginnst, mit Gegenständen zu werfen, solltest du uns sagen, was dich so zornig macht. Ist es dein Sohn?«
Palemas Augen funkelten, schienen Blitze zu schleudern. Ihre Hände im Schoß ballten sich zu Fäusten. »Er wird versagen, nach allem, was ich seinetwegen auf mich genommen habe. All mein Leiden und die Vorbereitung langer Jahre waren … für nichts. Siehst du es anders?«
Dala nahm einen Schluck, ließ den Becher zwischen den Händen kreisen und zuckte die Schultern. »Er ist … anders als erwartet, aber unsere einzige Hoffnung. Einen anderen haben wir nun einmal nicht. Das Schwert hat ihn angenommen, es wird ihn führen.«
Ihre Schwester schnaubte ungehalten. »Du hast doch auch erlebt, wie verstockt er ist. Er vermeidet jede Berührung, hat es sich noch nicht einmal richtig angesehen. Er gibt sich der Macht nicht hin und versucht stattdessen, sie von sich fernzuhalten.«
Myria mischte sich ins Gespräch. »Das ist wirklich sehr seltsam. Jeder Krieger würde doch ohne Überlegung eine Hand für diese einzigartige Klinge opfern, und er sieht sie an, als sei sie vergiftet. Dieser Junge ist mir ein Rätsel.«
»Er hat sie noch nicht im Kampf benutzt«, widersprach Dala. »Hat er Kahandars Macht erst in ganzer Vollkommenheit erlebt, wird er anders denken.«
Myria griff sich eine Schale mit Nüssen. »Wenn er sie nicht vorher wegwirft.«
Palema widersprach sofort mit unüberhörbarem Triumph in der Stimme: »Keine Angst, meine Liebe! Das kann er nicht. Die Tätowierungen binden ihn an das Schwert. Entfernt er sich zu weit, fangen sie an zu brennen.«
Ihre Schwestern starrten sie ungläubig an.
Myria fiel die Schale aus der Hand. Nüsse kullerten über den Eisboden.
»Du hast einen zusätzlichen Zauber auf das Schwert gelegt?«, brachte Dala schließlich heiser hervor. »Palema, das glaube ich nicht. Das traue ich selbst dir nicht zu.«
Weder Ausdruck noch Stimme verrieten irgendeine Gemütsregung, als ihre Schwester erwiderte: »So ist es aber. Ich hatte die gleiche Befürchtung wie Myria, nur – wie üblich – eher. Es war schließlich nicht zu übersehen, dass Rhonan allem, was mit mir zu tun hatte, mit großem Misstrauen begegnete. Erzähle ihm etwas von Macht und Stärke, und er zieht sich sofort zurück. Er wehrt sich dagegen, als König bezeichnet zu werden, obwohl er der größte von allen ist. Er verdeckt fast zwanghaft seine Tätowierungen, obwohl sie ihn mit Stolz erfüllen sollten, und er scheut sich davor, die mächtigste Waffe, die jemals geschmiedet wurde, auch nur anzusehen.«
Erhaben lächelte sie ihre Schwestern an. »Also hielt ich es für das Beste, dafür zu sorgen, dass mein irregeleiteter Sohn in dem Wunsch, das Schwert immer bei sich zu tragen, etwas unterstützt wird.«
»Und wenn er, ohne es zu wollen, davon getrennt wird?«, keuchte Myria entsetzt.
»Hältst du mich für eine Närrin?«, fuhr Palema sie gereizt an. »Schließ nicht immer von dir auf andere! Er kann Kahandar selbstverständlich jederzeit zu sich rufen. Der Zauber stellt lediglich sicher, dass er sich nicht freiwillig davon trennt.«
»Hast du ihm das gesagt?«, fragte Myria, die die Beleidigungen ihrer Schwester längst als naturgegeben hinnahm.
Die verdrehte die Augen, nickte aber.
Dafür erhob Dala wieder ihre Stimme. »Und du wunderst dich tatsächlich noch, dass der Junge Vorbehalte gegen dich und dein Schwert hat«, murmelte die Gelehrte und verzog angewidert das Gesicht.
»Wichtig ist, dass die Quelle versiegelt wird, nicht, was mein Sohn von mir hält.«
Dala sah sie mit nachdenklicher Miene an. »Wenn du dich da mal nicht täuscht. Die Dinge entwickeln sich anders als gedacht.«
»Wer konnte denn auch erwarten, dass ausgerechnet er sich in diese Eselin verguckt«, schnaubte Palema zurück.
Ihre Schwester beugte sich leicht nach vorn. »Das meinte ich gar nicht, meine Liebe. Nicht die Priesterin bereitet mir Sorgen, sondern dein Sohn selbst. Du hast geglaubt, dass er unweigerlich so sein würde wie du, aber das ist er
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