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Das vierte Skalpell

Das vierte Skalpell

Titel: Das vierte Skalpell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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erschüttert hätten. Es lag daran, daß ich die Schnallen nur mit der
linken Hand bedienen konnte. Die Rechte reichte mir nicht um den eisernen
Brustkasten herum. Außerdem konnte ich die Arme nicht ganz fallen lassen, weil
die Achsellöcher zu eng waren. Eine passende Drahtschere zum Ausschneiden war
nicht da. Keine zwei Stunden würde ich das aushalten.
    Es zeigte sich, daß ich die
Beinschienen vorher hätte anlegen sollen. Ich kam mit den Armen nicht bis zu
den Schienbeinen hinunter, nicht im Stehen und nicht im Sitzen. Ich konnte die
Beine nicht weit genug anziehen, weil der eiserne Frack über die Hüften
herunterhing und gegen die Oberschenkel stieß. Ich löste die Schnallen unter
schmerzlichen Verrenkungen und stellte den Panzer auf den Fußboden.
    Die Beinschienen drückten trotz dicker
Strümpfe erheblich auf Schienbeine und Fußwurzeln, weil sie zu lang waren. Aber
sie hielten. Bevor ich den Harnisch wieder umstülpte, trank ich ein paar
Schluck Rum, um die Schmerzempfindlichkeit herabzusetzen. Nach etlichen Flüchen
und Schweißausbrüchen hatte ich die Schnallen zu. Ich zog den Hemdkragen über
den oberen Rand und stieg in die Schuhe. Es stellte sich heraus, daß ich die Schnürsenkel
ebensowenig ergreifen konnte wie vorher die Beinschienen. Egal, sollten sie
offenbleiben. Evelyn würde vor mir knien und sie zubinden, wie sich das für ein
Burgfräulein gehörte.
    Ich ergriff die Klosettbürste, setzte
den Trichter auf und stellte mich vor den Spiegel. Trauer erfaßte mich.
    Ich sah von weitem aus wie ein
gußeiserner Henkeltopf, und aus der Nähe wie ein ramponierter Zenturio nach der
Schlacht im Teutoburger Wald. Das himmelblaue Spitzenhöschen an den
Stachelbeerbeinen würde stärkere Männer als mich zum Weinen bringen.
    Evelyn, die Schlange! Sie wollte mich
zum Gespött des ganzen Saales machen! Ich liebte sie, und zum Dank
verschandelte sie meine Figur.
    Ich lehnte den Spieß in die Ecke und
ergriff die Rumflasche. Mit Alkohol würde es gehen. Der Panzer zog an mir wie
ein Rucksack. Sah so aus, als hätten die alten Ritter schon mit der Pak
aufeinander geschossen und sich entsprechend gerüstet. Es würde mir ewig
unerfindlich bleiben, wie sie in so einem Anzug bis ins Gelobte Land und wieder
zurück geritten waren und dabei auch noch die Sarazenen vertrieben hatten. War
wohl doch alles Schwindel.
    Fünfzehn Minuten vor sieben wurde laut
und hastig geklingelt. Aha. Die Gnädige kam eine Viertelstunde früher. Konnte
es offenbar nicht erwarten, mich in dieser Tracht zu sehen. Ich setzte den Helm
ab und zog meinen Morgenrock an. Sie sollte nicht gleich in Ohnmacht fallen.
Dann legte ich mir ein paar passende Worte zurecht und marschierte klirrend zur
Tür.
    Aber es war nicht Evelyn, die draußen
stand.
    »Ruschke«, sagte ich verblüfft, »Was
ist denn mit Ihnen los?«
    Er war aufgeregt, ganz anders als
sonst, und atmete schnell.
    »‘n Abend, Dokta«, sagte er hastig.
»Hab’ wat für Sie - muß ick Ihnen zeijen — Se werden staunen!«
    »Kommen Sie rein.«
    Ich schloß die Tür und bugsierte ihn
ins Zimmer. Dabei bemühte ich mich, so zu tun, als wüßte ich nichts von meinem
Harnisch.
    Ruschke würde den Anblick nie
vergessen. Aber er kümmerte sich gar nicht um meinen Morgenrock und das, was
darunter war.
    »Ganz allein?« fragte er.
    »Nicht mehr lange«, sagte ich. »Um
sieben kommt Evelyn. Was gibt’s denn?«
    Er zog ein zusammengerolltes
Papierbündel aus der Tasche und legte es auf den Schreibtisch.
    »Da — wissen Se, wat det is? Die
Krankengeschichte von der kleinen Weber! Aba setzen Se sich erst, bevor Se
lesen!«
    Ich sah ihn an und sah einen Blick an
ihm, den ich vorher nie bemerkt hatte. Etwas Fremdes am wohlbekannten Ruschke.
    Ich nahm mir nicht die Zeit, darüber
nachzudenken. Ich ließ mich langsam nieder, so gut der Panzer es erlaubte, und
griff nach der Rolle.
    Ein Gummi hielt sie zusammen. Ich
streifte ihn ab und rollte das Blatt auf. Meine Augen erfaßten die Schrift,
aber mein Gehirn kam nicht mehr dazu.
    Ein krachender Stoß traf mich in den
Rücken und warf meine Brust gegen die Schreibtischkante. Ich hörte ein
knirschendes, unbeschreiblich scheußliches Geräusch, so dicht an meinem Ohr,
als käme es aus meinem eigenen Körper. Dann klirrte es hell und wie Metall.
    In den nächsten Sekunden sah ich alle
Gegenstände wie durch einen Schleier. Dann zerriß er.
    Ich wußte die Wahrheit, nach der ich so
lange gesucht hatte.
    Ich stieß mich von der Kante des
Tisches ab

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