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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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mir keine Erleichterung gebracht. Ich war wieder verstimmt und streitsüchtig.
    »Nein, ich hatte keinen Erfolg!« antwortete ich trotzig. »Hast du die Stimme tief in deinem Innern gehört?« fragte er.
    »Ich glaube schon«, log ich. »Was hat sie dir gesagt?« wollte er wissen. »Es fällt mir nicht mehr ein, Don Juan«, murmelte ich. »Du befindest dich also wieder in deinem Alltagsbewusstsein«, sagte er und schlug mir kräftig auf den Rücken. »Das Alltagsbewusstsein hat wieder Besitz von dir ergriffen. Um es zu lockern, wollen wir über deine Sammlung denkwürdiger Ereignisse sprechen. Ich sollte dich darauf hinweisen, daß es keine leichte Aufgabe ist zu entscheiden, was in dein Album hineingehört. Aus diesem Grund habe ich dir gesagt, es ist eine kriegerische Handlung. Du musst dich zehnmal neu erschaffen, um zu wissen, was du für das Album auswählen sollst.« Ich wusste, wenn auch nur für eine Sekunde, daß ich zwei Bewusstseine hatte. Der Gedanke war allerdings so unbestimmt, daß ich ihn sofort wieder vergaß. Zurückblieb nur das Gefühl der Unfähigkeit, Don Juans Aufgabe zu n füllen. Anstatt jedoch meine Unfähigkeit mit Anstand hinzunehmen, ließ ich zu, daß sie zu einer Bedrohung wurde. Die treibende Kraft meines Lebens damals war es, stets in einem guten Licht zu erscheinen. Unfähigkeit schien gleichbedeutend mit einer Niederlage zu sein, und ein Versagen konnte ich grundsätzlich nicht ertragen. Da ich nicht wusste, wie ich auf Don Juans Herausforderung reagieren sollte, tat ich das einzige, wozu ich in der Lage war. Ich wurde zornig.
    »Ich muss sehr viel mehr darüber nachdenken, Don Juan«, sagte ich. »Ich muss mir Zeit lassen, um mich mit der Idee anzufreunden.«
    »Natürlich, natürlich«, stimmte Don Juan zu. »Laß dir so viel Zeit, wie du willst, aber beeile dich.« Mehr wurde damals nicht über das Thema gesprochen. Zu Hause vergaß ich es völlig. Aber eines Tages, während eines Vertrags, den ich anhörte, erhielt ich ganz plötzlich den gebieterischen Befehl, nach den denkwürdigen Ereignissen in meinem Leben zu suchen. Ich spürte den Befehl wie einen körperlichen Schlag. Ein nervöser Krampf ließ mich am ganzen Körper zittern. Danach machte ich mich ernsthaft an die Arbeit. Ich brauchte Monate, um die Ereignisse meines Lebens, die ich für bedeutungsvoll hielt, auszugraben. Als ich das Gefundene überprüfte, musste ich mir allerdings eingestehen, daß ich nur mit völlig belanglosen Erinnerungen spielte. Die Ereignisse, an die ich mich erinnerte, waren nur unbestimmte, sehr abstrakte Bezugspunkte. Wieder einmal hatte ich den sehr beunruhigenden Verdacht, ich sei nur auf dieser Welt, um unaufhörlich etwas zu tun, ohne jedoch etwas dabei zu empfinden. Zu den Erinnerungen, die ich unbedingt in mein Album aufnehmen wollte, gehörte der Tag, an dem ich herausgefunden hatte, daß ich zum Studium an der UCLA zugelassen worden war, obwohl ich mich daran nur sehr vage erinnerte. Doch sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte mich nicht daran erinnern, was ich damals gemacht hatte. Der Tag war nicht interessant oder einzigartig gewesen, bis auf die Idee, daß er denkwürdig sein müsse. Der Beginn des Studiums hätte mich glücklich machen, oder ich hätte stolz auf mich sein sollen, aber nichts dergleichen war der Fall.
    Ein anderes Beispiel aus meiner Sammlung war der Tag, an dem ich beinahe Kay Condor geheiratet hatte. Sie hieß eigentlich nicht Condor. Es war ihr Künstlername, da sie Schauspielerin werden wollte. Ihre Fahrkarte zum Ruhm war ihr Aussehen. Sie sah aus wie Carole Lombard. In meiner Vorstellung war dieser Tag weniger wegen der Ereignisse denkwürdig, sondern weil Kay Condor schön war und mich heiraten wollte. Sie war einen Kopf größer als ich. Das machte sie für mich noch interessanter. Ich fand es aufregend, eine große Frau in einer Kirche zu heiraten. Ich lieh mir einen grauen Frack. Die Hose war für meine Größe zu weit. Die Hosenbeine waren nicht ausgestellt, sondern einfach zu weit. Das machte mir sehr zu schaffen. Außerdem irritierte es mich maßlos, daß die Ärmel des rosa Hemds, das ich für diesen Anlaß gekauft hatte, etwa zehn Zentimeter zu lang waren. Ich musste sie mit Gummibändern in der richtigen Lage halten. Abgesehen davon war jedoch alles in bester Ordnung, bis zu dem Augenblick, als die Gäste und ich feststellten, daß Kay Condor es sich anders überlegt hatte und nicht zur Trauung erschien.
    Als wohlerzogene junge Dame ließ sie

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