Das Wirken der Unendlichkeit
Denkens erfüllten, das für mich als westlicher Mensch galt. Es war eher so, daß mich die Klarheit und Genauigkeit, mit der Don Juan seine Konzepte erläuterte, beinahe zu Tode erschreckte. Seine Effektivität erschien mir als Dogmatismus. Diese Annahme hatte mich gezwungen, Erklärungen zu fordern und mich die ganze Zeit so zu verhalten, als sei ich ein kritischer Anhänger seiner Lehre. Ja, ich war in einen Abgrund gesprungen, und ich war nicht gestorben, weil ich zugelassen hatte, daß mich das dunkle Meer des Bewusstseins verschlang, bevor ich den Grund der Schlucht erreicht hatte. Ich hatte mich ihm ohne Angst oder Bedauern überlassen. Jenes dunkle Meer hatte mir all das gegeben, was ich brauchte, um nicht zu sterben und um in meinem Bett in Los Angeles zu landen. Noch vor zwei Tagen hätte mir diese Erklärung nichts erklärt. Doch um drei Uhr morgens bei Ship’s verstand ich alles.
Ich schlug mit der Hand auf die Theke, als sei ich allein im Restaurant. Die Leute sahen zu mir herüber und lächelten wissend. Mir war es gleichgültig. Meine Gedanken kreisten um ein unlösbares Problem. Ich war am Leben, obwohl ich vor zehn Stunden in einen Abgrund gesprungen war, um zu sterben. Ich wusste, ein solches Problem konnte nie gelöst werden. Mein normales Bewusstsein verlangte eine lineare Erklärung, um zufrieden zu sein. Aber lineare Erklärungen waren nicht möglich. Das war der springende Punkt bei der Unterbrechung der Kontinuität. Don Juan hatte gesagt, diese Unterbrechung sei Zauberei. Das wusste ich jetzt so klar und deutlich, wie mir das möglich war. Wie recht hatte Don Juan gehabt, als er zu mir sagte, um hier zu bleiben, würde ich alle meine Kraft, alle meine Geduld und vor allem den stählernen Mut eines Krieger-Wanderers brauchen. Ich wollte über Don Juan nachdenken, aber es war mir nicht möglich. Außerdem war mir Don Juan gleichgültig. Uns schien eine riesige Barriere zu trennen. Ich glaubte in diesem Augenblick wirklich, daß der seltsame Gedanke, der sich mir aufdrängte, seit ich in meinem Bett aufgewacht war, der Wahrheit entsprach. Ich war ein anderer. Im Augenblick des Sprungs hatte ein Wechsel der Person stattgefunden. Denn sonst hätte ich gern an Don Juan gedacht. Ich hätte mich nach ihm gesehnt. Ich hätte sogar einen gewissen Vorwurf empfunden, weil er mich nicht mitgenommen hatte. Das wäre mein normales Ich gewesen. Ich war wirklich nicht mehr derselbe. Dieser Gedanke gewann an Kraft, bis er mein ganzes Wesen erfüllte. Jeder Rest meines alten Ichs, der noch vorhanden sein mochte, verschwand.
Mich überkam eine andere Stimmung. Ich war allein! Don Juan hatte mich in einem Traum als seinen agent provocateur zurückgelassen. Ich spürte, wie sich mein Körper entspannte. Er wurde nach und nach wieder beweglich, bis ich tief und ungehindert atmen konnte. Ich lachte laut. Es machte mir nichts aus, daß mich die Leute anstarrten und diesmal nicht lächelten. Ich war allein, und es gab nichts, was ich dagegen hätte tun können. Ich hatte das körperliche Gefühl, einen Weg zu betreten. Der Weg besaß seine eigene Kraft. Er zog mich an. Der Weg war stumm.
Don Juan war dieser stille und unermeßliche Weg. Zum ersten Mal erlebte ich Don Juan körperlich als eine Leere. Sentimentalität oder Sehnsucht hatten dabei keinen Platz. Ich konnte ihn einfach nicht vermissen, denn er war als ein entpersonalisiertes Gefühl da, das mich anzog.
Der Weg war eine Herausforderung für mich. Ich hatte das Gefühl von Euphorie und Leichtigkeit. Ja, ich konnte allein oder mit anderen vielleicht für immer auf diesem Weg gehen. Das war für mich weder eine Pflicht noch ein Vergnügen. Es war mehr als der Anfang der letzten Wanderung. Es war das unabwendbare Schicksal eines Krieger-Wanderers. Es war der Anfang einer neuen Zeit. Ich hätte bei der Erkenntnis, daß ich den Weg gefunden hatte, weinen sollen. Aber das tat ich nicht. Ich stellte mich bei Ship’s der Unendlichkeit. Wie außergewöhnlich! Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich hörte Don Juan sagen: »Das Universum ist in der Tat unergründlich.«
In diesem Augenblick öffnete sich die rückwärtige Tür des Restaurants, die zum Parkplatz führte. Ein seltsamer Typ kam herein. Der Mann war vielleicht Anfang Vierzig. Er war ungepflegt und ausgezehrt, aber er sah gut aus. Er war mir schon seit Jahren aufgefallen. Er lief auf dem Gelände der UCLA unter den Studenten herum. Jemand hatte mir gesagt, er sei ein ambulanter Patient des nahe
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