Das Wörterbuch des Viktor Vau
zurecht und ergriff seine Hand. »Professor Vau, ich freue mich.«
»Entschuldigen Sie die Verzögerung. Der Verkehr heute war wieder einmal eine Zumutung.«
»Ich weiÃ.« Astarte war, wie immer vor wichtigen Terminen, eine gute Stunde früher angereist und hatte in einem Café gegenüber der Klinik einen Kaffee getrunken. Ãber der Theke des Lokals hing ein Bildschirm, auf dem Nachrichten liefen. »Es ist wieder eine Bombe explodiert.«
»Eine ausgesprochen ungeeignete Methode, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Besseren zu verändern«, lächelte Vau dünn. »Man bringt neben Politikern und Polizisten nur die Berufspendler gegen sich auf.«
Er schwieg. Astarte wartete. Small Talk war offenbar keine seiner Stärken. Nach allem, was sie gelesen hatte, hatte sie ihn sich unpersönlicher und unsympathischer vorgestellt. Zu ihrer Ãberraschung fand sie ihn gar nicht so unangenehm.
Er machte eine unbeholfene Handbewegung in Richtung der geöffneten Tür.
»Aber kommen Sie doch bitte mit in mein Büro.«
Astarte nahm ihre Tasche und folgte ihm an der Rezeption vorbei zu einer Glastür, die er durch Eingabe eines Codes in eine numerische Tastatur öffnete. Sie traten in einen gefliesten Gang mit grün gestrichenen Wänden. In der Ferne erhoben sich Stimmen und Schreie.
Zwei Krankenpfleger stürmten an Vau und Astarte vorbei.
Astarte sah ihren Begleiter fragend an, doch der schien den Vorfall überhaupt nicht wahrzunehmen. Sie passierten eine Reihe geschlossener Türen, bis Vau vor einer stehen blieb und sie aufschloss.
»Mein kleines Reich«, sagte er und winkte Astarte herein.
Während er die Tür hinter sich verriegelte, blickte sie sich um. Der winzige Raum war spärlich möbliert. An einer Wand stand ein deckenhoher Bücherschrank und neben dem vergitterten Fenster eine Kommode. Der einzige Luxus, der ins Auge stach, war ein Schreibtisch aus blank poliertem Walnussholz.
Alles war sauber und penibel aufgeräumt. Keine Bücherstapel, keine Aktenordner oder Fachzeitschriften. Allein ein Flachbildschirm und eine Tastatur auf dem Schreibtisch zeugten davon, dass hier gearbeitet wurde.
»Setzen Sie sich.« Ihr Gastgeber deutete auf den Freischwinger vor seinem Schreibtisch. Sie nahm Platz, und Vau lieà sich in seinem Sessel auf der anderen Seite nieder. Seine Züge entspannten sich etwas. Hier fühlte er sich offenbar sicher, hier war sein Reich und sie nur ein Gast. Astarte rechnete nicht damit, dass er ihr einen Kaffee oder ein anderes Getränk anbot, und sie behielt recht.
Vau betrachtete sie einen Moment mit einem Ausdruck, den sie nicht deuten konnte, und zog dann aus einer Schublade seines Schreibtischs einen lachsfarbenen Aktendeckel hervor.
»Leider fällt meine bisherige Assistentin, mit der ich seit Jahren zusammenarbeite, wegen eines Unfalls für mindestens ein halbes Jahr aus«, begann er. »Die Stelle, die ich anzubieten habe, ist also nur befristet. Falls Sie damit ein Problem haben â¦Â«
»Ganz und gar nicht«, beteuerte Astarte.
»Nun, Ihre Bewerbung ist ⦠wenn ich das so sagen darf ⦠ungewöhnlich.«
Astarte bestätigte seine Feststellung mit einem zustimmenden Lächeln.
»Sie haben weder Referenzen noch Abschlusszeugnisse beigefügt«, fuhr er fort. »Ãblicherweise bedeutet das eine sofortige Absage. In Ihrem Fall habe ich eine Ausnahme gemacht, weil Ihre Kenntnisse auÃergewöhnlich scheinen.«
Er legte erneut eine Pause ein. »Sie haben also studiert, nehme ich an?«, fragte er, als sie immer noch nicht reagierte.
Astarte hatte natürlich mit dieser Frage gerechnet. »Es gibt gewisse Gründe dafür, warum ich keine Informationen über meine Vergangenheit preisgeben möchte«, sagte sie. »Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich ein Studium der Computerlinguistik und Psychologie abgeschlossen und in der Forschung gearbeitet habe.«
Er kniff die Augen zusammen. »Sie haben doch nicht etwa Ãrger mit dem Gesetz? Sie sprechen unsere Sprache mit einem leichten Akzent. Gibt es Probleme mit der Einwanderungsbehörde?«
Astarte schüttelte den Kopf. »Nichts dergleichen. Ich kann Ihnen meine Papiere gerne zeigen.«
»Nein, nein«, wehrte er ab, und sie merkte, dass es ihm peinlich war, sie zu diesem Angebot verleitet zu haben. »Ich glaube Ihnen schon. Es ist nur recht
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