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Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Fäulnispilz, wucherte mit rasender Geschwindigkeit und folgte ihnen als rauchige, verzweigte Finsternis entlang der Tunnelwände.
    Niccolo saß vorn im Sattel und hielt die Zügel mit rechts, sein linker Arm hing nutzlos herab. Tausendmal sah er Mondkind vor sich, tausendmal spürte er ihre Berührung. Er wusste, dass er etwas verloren hatte, das nie seins gewesen war. Mit ihr war auch etwas anderes in ihm gestorben, der Bann war erloschen - aber das machte es kein bisschen leichter.
    Nugua saß hinter ihm und hielt sich an seinem Oberkörper fest. Sie hatte Yaozis glühenden Schuppensplitter in die leere Schwertscheide am Sattel gestoßen. Das Ende ragte ins Freie, warf aber so schwaches Halblicht in die pulsierende Röhre, dass sie sich ganz auf die Instinkte des Vogels verlassen mussten.
    An mehreren Stellen war der Tunnel bereits so verwachsen, dass der Kranich mit ausgebreiteten Schwingen nicht mehr hindurchpasste. Jedes Mal, wenn sie auf einen dieser Engpässe zuhielten, machte der Vogel ein paar heftige Flügelschläge, legte die Schwingen an und jagte wie ein Pfeil zwischen den verschorften Wänden hindurch. Die beiden Reiter mussten sich tief hinabbeugen, damit die Wucherungen an der Decke sie nicht aus dem Sattel rissen. Mehr als einmal wäre Niccolo getroffen worden, hätte ihm nicht Nugua von hinten Warnungen zugeschrien.
    Die Trauer um Mondkind war wie schwarzer Tran, auf dem er blind und taub dahintrieb, losgelöst von der Gegenwart und der Wirklichkeit des sterbenden Ur-Riesen. Aber zugleich war da noch etwas anderes, das ihn bei Sinnen hielt, eine durch und durch körperliche Qual, die wie mit haarfeinen Haken in seine Poren drang und etwas aus ihm herauszog: Spuren des Aethers, die bis zuletzt gegen seinen Willen angekämpft hatten.
    Der Aether starb gemeinsam mit dem Riesen. Die Körperlichkeit, die er so sehr begehrt hatte, wurde zur Ursache seines Untergangs.
    Dies war das Sterben, das Niccolo in sich spürte. Kein Schreien, kein Toben, kein Todeskampf. Der Aether verging in Selbstmitleid und Melancholie, ein leiser verträumter Abgesang. Seine Anwesenheit in Niccolo zerschmolz wie ein Standbild aus Eis, erst langsam in Tränen, gefolgt vom Verlust aller Form und Gestalt; am Ende stand die vollkommene Auflösung.
    Niccolo spürte ihn schon nicht mehr, als vor ihnen ein heller Punkt auftauchte, immer größer wurde und sich zu einer pulsierenden Öffnung weitete. Er horchte dem Ende des Aethers nach, als sie hinaus ins Freie schössen, wo sie von Yaozi erwartet wurden. Drache und Kranich flogen durch einen Hagel aus Gestein, durch Trümmer des Gebirges, die nicht länger schwebten, sondern zurück zur Erde stürzten. Hundertmal drohten sie erschlagen zu werden, aber davon nahm Niccolo kaum etwas wahr.
    »Sieh nur«, flüsterte Nugua ihm ins Ohr.
    Benommen blickte er über die Schulter.
    Die himmelhohe Silhouette des Ur-Riesen zerfiel in einer Schmelze aus Fels und pechschwarzem Fleisch. Mit ihm fiel Maromars Volk, und es sollte das Letzte sein, was man je von den Riesen hörte.
    Die Wunde in Pangus Seite, der Quell des Lavastroms, explodierte als Flatnmenfontäne. Vor Niccolos innerem Auge flackerten Yorotau und die anderen Drachen vorüber, die sich geopfert hatten. Erst jetzt versiegte die Lava endgültig und Niccolo spürte zum ersten Mal wieder etwas anderes als Trauer und Pein. Keinen Triumph, gewiss keine Freude - aber eine Spur von Genugtuung.
    Flüssiges Feuer vermischte sich mit Gestein und anderen Brocken, die von der verästelten Fäulnis befallen waren. Pangus Körper, die letzte Heimstatt des Aethers, prasselte zurück ins Innere der Erde und wurde von ihr verschlungen.
    Der Kranich folgte dem Drachen, und der Drache folgte dem Ruf seines Clans. Im Zickzack durchquerten sie das Schöpfungschaos, dann seine Ausläufer. Hinter ihnen stürzten ganze Berge vom Himmel, bildeten neue Gipfel und Schluchten. Niemand würde sie zu sehen bekommen, ehe sich Staub und Rauch gelegt hatten, vielleicht in einem Jahr, vielleicht in vielen. Und irgendwann würde keiner mehr ahnen, dass das Gebirge ein Grab war. Für Pan-gu und den Aether. Für Xixati und Guo Lao. Für das Volk der Riesen und für zahllose Drachen.
    Ein Grabmal für Mondkind.
    Der Chor der Zerstörung war ihr Trauergesang, das Schwarz einer Staubnacht ihr Leichentuch.
    Tränen spülten Jurublut von Niccolos Wangen.
    Was darunter zum Vorschein kam, fühlte sich endlich wieder an wie er selbst.

Die Rückkehr
    Regen fiel vom Himmel über

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