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Das Ziel ist der Weg

Das Ziel ist der Weg

Titel: Das Ziel ist der Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hagenmeyer
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wirkt. Angemessen. Nicht plakativ-euphorisch aus der »heilen Welt« der Pilgerschaft, sondern im Einklang mit den je eigenen Lebensumständen. Und auch diese neue Wirklichkeit, diese Seelenwandlung benötigt die Phase der Stabilisierung.
    Durch den langsamen Integrationsprozess verbindet sich der moderne Alltag immer mehr mit der Erfahrung der Pilgerschaft, der Urerfahrung des »Auf-dem-Weg-Seins«: das Bewusstsein, dass der Mensch nirgends ein Zuhause hat, außer in sich selbst. Dass jeder alleine seinen eigenen Weg geht. Dass jeder seinen eigenen Rhythmus und sein eigenes Tempo hat. Dass jeder anderen begegnet, mit ihnen ein Stück Weg teilt, dass gemeinsame Wege sich trennen und manchmal auch wieder zusammenführen. Dass einem das Leben das gibt, was man braucht, aber auch nicht mehr. Dass Zufriedenheit nicht in materiellen Dingen zu finden ist. Dass Mitmenschlichkeit keine Wahl, sondern eine Grundgegebenheit des Menschseins ist. Dass alle Menschen vor dem Göttlichen und der Natur gleich sind.
    So lädt die Jakobuspilgerschaft eben nicht dazu ein, »Dauerpilger« zu werden. Sie lädt dazu ein, die Erfahrungen der Pilgerschaft im Alltäglichen zu verwirklichen. Der abgeschlossene Raum der Pilgerschaft ohne äußere Verpflichtung ist notwendig, um in sich schauen und sich wandeln zu können. Die Veränderungen und die meditative Haltung der Pilgerschaft sollen jedoch im Alltagsleben verankert werden, um in der Welt wirken zu können. Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart schreibt: »Und darum sind alle die, die sich dem beschaulichen Leben hingeben und nicht äußeren Werken und sich ganz und gar von äußerem Werk abschließen, im Irrtum und nicht auf dem rechten Weg. Da sage ich, der Mensch, der im beschaulichen Leben ist, kann wohl und soll sich von allen äußeren Werken freimachen, solange er im Schauen ist; aber hernach soll er sich äußeren Werken widmen, denn niemand kann sich allezeit und fortwährend dem beschaulichen Leben hingeben, und das wirkende Leben wird ein Aufenthalt schauenden Lebens.«
    Das ist das Wesentliche einer Pilgerfahrt: ein aus seelischer Not geborener innerer Wandlungsprozess, der sich auf Dauer im täglichen Leben verwirklicht. Der Jakobsweg ist freilich nur einer unter vielen möglichen Auslösern für einen derartigen seelischen Prozess. Dieser stellt eine Form der »Selbst-Beratung« in zweifacher Hinsicht dar: Wenn Pilger aus ihrer Krise selbst keinen Ausweg mehr sehen und wenn kein Rat von außen mehr neue hilfreiche Gesichtspunkte eröffnet, dann kann nur ein neuer eigener Blickwinkel weiterhelfen. In der Abgeschiedenheit und Einsamkeit suchen Pilger Rat bei sich selbst, bei ihrem Selbst — das, was als göttliche Kraft in ihnen wirkt. Sie verlassen die hellen, sauber angelegten, asphaltierten Waldwege durch das Dickicht der modernen Welt und wählen den »dunklen Holzweg«, der sie zu spirituellen Quellen führt.
    Eines bleibt: Santiago de Compostela ist ein Wendepunkt, ein Neuanfang. Wer auf dem Jakobsweg gepilgert ist und tiefe Stimmigkeit mit sich selbst über viele Kilometer erfahren hat, wird auf Dauer auch in der Welt außerhalb des Pilgerweges schwerlich an diesem in der Seele wirkenden Bild vorbeileben können. Der Jakobsweg hinterlässt Spuren. Nicht Santiago ist das Ziel des Jakobswegs, sondern das Selbst. Das Spüren eines im Einklang mit dem Göttlichen verlaufenden ureigenen Weges. Das Ziel ist der Weg.

    »Die Seele bleibt zurück«, sagen die Spanier, wenn Jakobuspilger zur Heimkehr ins Flugzeug steigen. Sie haben recht. Ich hätte den Zug nehmen sollen, an Orten aussteigen, die mich berührt haben, vielleicht sogar den Weg ein wenig rückwärtsgehen. Die Rückkehr ging viel zu schnell.

    Es wird lange dauern, bis ich das, was mich bewegt hat, verarbeitet habe. Es wird lange dauern, bis ich wieder vollständig hier bin, sehr lange.

    Ich bin durch den Jakobsweg kein »besserer Mensch« geworden, bin mir allenfalls ein Stück nähergekommen. Das ist alles, und dennoch viel.
    Manchmal begegne ich unterwegs in Ostfildern einem älteren Jakobusbruder. In den Augen des anderen spiegeln sich das gleißende Mittagslicht der Meseta und die Dunkelheit eines Kapelleninnenraums am Wegesrand. Schweigend nicken wir uns zu, das Gefühl des Windes am Rabanal-Pass auf der Haut, den Weihrauchgeruch des Botafumeiro in der Nase, den Salzgeschmack langer Wanderschaft auf den Lippen. Dann gehen wir weiter, jeder seines Wegs, und der Rhythmus unserer Schritte ist geprägt

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